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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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und Nacht im Gange blieb.
     

Teil 3

Erstes Kapitel
    Am nächsten Tage und an den folgenden Tagen nahm Etienne seine Arbeit in der Grube wieder auf. Er gewöhnte sich daran; sein Leben regelte sich nach dieser Arbeit und nach den neuen Gebräuchen, die ihm anfänglich so schwer schienen. Ein einziges Vorkommnis unterbrach die Eintönigkeit der ersten zwei Wochen, ein vorübergehendes Fieber, das ihn nötigte, achtundvierzig Stunden hindurch das Bett zu hüten mit glühendem Kopfe und in seinen Fieberphantasien träumend, daß er seinen Karren im Bergwerke durch einen allzu engen Gang schiebe, wo er nicht hindurch könne. Die Krankheit war ganz einfach die Folge der ersten Lehrtage, eine Übermüdung, von der er sich bald erholte.
    Es folgten Tage auf Tage, es verflossen Wochen und Monate. Gleich seinen Kameraden erhob er sich jetzt um drei Uhr morgens von seinem Lager, trank seinen Kaffee und nahm sein Butterbrot mit, das Frau Rasseneur ihm schon am Abend zurechtmachte. Wenn er am Morgen sich zur Grube begab, traf er regelmäßig den Vater Bonnemort, der schlafen ging, und wenn er am Nachmittag aus der Grube kam, begegnete er Bouteloup, der seine Arbeit aufnahm. Er trug die Haube, die Hose, den Leinwandkittel; er fror und wärmte sich den Rücken an dem großen Ofen in der Baracke. Dann kam das Warten mit bloßen Füßen in dem Aufnahmesaale, durch den ein schneidender Luftzug strich. Doch die Maschine mit ihren mächtigen stählernen Gliedern und den Kupfersternen daran, die da oben im Dunkel leuchtete, interessierte ihn nicht mehr, auch nicht die Kabel, deren Lauf dem Fluge eines schwarzen, stummen Nachtvogels glich, noch auch die Schalen, die unablässig auf und nieder stiegen inmitten des Geräusches der Signale, der Befehlsrufe, des Donners der Karren, die über den aus gußeisernen Platten gefügten Fußboden geschoben wurden. Seine Lampe brannte schlecht; der verwünschte Lampenputzer mußte sie schlecht gereinigt haben; er schaute erst wieder auf, wenn Mouquet sie alle verlud und dabei den Mädchen zum Spaß auf den Hintern klatschte. Die Schale löste sich aus den Ankern und fiel wie ein Stein in ein Loch, ohne daß Etienne auch nur den Kopf wandte, um zu sehen, wie das Tageslicht verschwand. Niemals dachte er an die Möglichkeit eines Sturzes; er fühlte sich heimisch in dem Maße, wie er unter dem Sturzregen in die Finsternis hinabstieg. Wenn sie unten angekommen waren und Pierron mit seiner scheinheiligen Sanftmut sie ausgeladen hatte, gab es immer das nämliche Herdengetrappel, die einzelnen Werkgruppen begaben sich schleppenden Ganges zu ihren Schlägen. Er kannte jetzt schon die Galerien der Mine besser als die Gassen von Montsou, wußte, daß man da sich wenden, dort sich bücken, anderswo wieder einer Pfütze ausweichen müsse. Er kannte dermaßen den zwei Kilometer langen Weg unter der Erde, daß er ihn ohne Lampe mit den Händen in den Taschen hätte zurücklegen können. Es fanden jedesmal die nämlichen Begegnungen statt: irgendein Aufseher leuchtete im Vorübergehen den Arbeitern ins Gesicht, Vater Mouque brachte ein Pferd, Bebert führte den stampfenden Gaul Bataille. Johannes lief hinter einem Zuge einher, um die Lüftungstüren zu schließen; die dicke Mouquette und die magere Lydia schoben ihren Karren.
    Mit der Zeit litt Etienne auch weniger durch die Feuchtigkeit und die drückende Schwüle, die in dem Schlage herrschten. Der Kamin schien ihm jetzt sehr leicht zu erklettern, als sei er geschmolzen und könne durch Ritzen hindurchschlüpfen, wo er früher nicht einmal seine Hand hineinzustecken gewagt hätte. Er atmete ohne Unbehagen den Kohlenstaub ein, er sah klar in der Dunkelheit, er schwitzte ruhig, weil er sich schon daran gewöhnt hatte, vom Morgen bis zum Abend nasse Kleider am Leibe zu haben. Übrigens vergeudete er nicht mehr in ungeschickter Weise seine Kräfte; er hatte sich so rasch eine Geschicklichkeit zu eigen gemacht, daß der ganze Werkplatz darüber erstaunt war. Nach Ablauf von drei Wochen ward er unter den guten Schleppern der Grube genannt; kein einziger wußte seinen Karren in einem so kräftigen Zuge zur schiefen Ebene zu rollen und so geschickt einzuhängen. Seine kleine Gestalt machte es ihm möglich, überallhin zu schlüpfen; seine Arme, fein und weiß wie die eines Weibes, schienen unter der zarten Haut von Eisen zu sein, so tüchtig waren sie bei der Arbeit. Er beklagte sich niemals -- ohne Zweifel aus Stolz -- selbst dann nicht, wenn er vor Müdigkeit

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