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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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verbarg er sich im Schatten. Er war starr von Betroffenheit, als er in den Vorbeikommenden Katharina und den langen Chaval erkannte. Er zweifelte zuerst. War sie es wirklich, dieses Mädchen im blauen Kleide mit dem Häubchen, war dies der Junge, den er am Morgen mit der Hose und der Leinwandkappe bekleidet gesehen hatte? Deshalb hatte sie sich an ihn schmiegen können, ohne daß er in ihr das Mädchen erkannte. Doch er zweifelte nicht länger; er hatte ihre Augen wiedererkannt, die grünliche Durchsichtigkeit dieser klaren, tiefen Quelle. Welche Dirne! Er fühlte ein wütendes Bedürfnis, sich an ihr zu rächen, ohne Beweggrund, bloß aus Verachtung. Sie mißfiel ihm übrigens in ihrer Mädchenkleidung; er fand sie abscheulich.
    Katharina und Chaval waren langsam vorübergegangen. Sie ahnten nicht, daß sie in solcher Weise bespäht wurden; er hielt sie einen Augenblick zurück, um sie hinter dem Ohr zu küssen, während sie stehen blieb, um seine Liebkosungen zu genießen, die sie zum Lachen brachten. Etienne war zurückgeblieben, mußte ihnen aber dennoch folgen, ärgerlich darüber, daß sie ihm den Weg verstellten, und die Dinge mit ansehen, die ihn erbitterten. So war es denn wahr, was sie ihm am Morgen geschworen hatte: sie war noch niemandes Geliebte; und er hatte es nicht geglaubt, hatte sich ihrer beraubt, um nicht so zu tun wie der andere, hatte sie sich vor der Nase wegfischen lassen und die Albernheit soweit getrieben, sich in unflätiger Weise an ihrem Anblick zu erheitern. Das raubte ihm schier die Sinne; er ballte die Fäuste und hätte diesen Mann zerreißen können in einem jener Anfälle von Mordgier, in denen ihm rot vor den Augen ward.
    Der Spaziergang dauerte eine halbe Stunde. Als Chaval und Katharina sich dem Voreuxschachte näherten, verlangsamten sie ihren Gang noch mehr, blieben zweimal am Kanal, dreimal am Fuße des Hügels stehen, in heiterem, zärtlichen Getändel sich vergessend. Auch Etienne mußte jedesmal stehen bleiben, damit sie ihn nicht bemerkten. Er bezwang sich, um nichts mehr als ein brutales Bedauern zu fühlen; das sollte ihm eine Lehre sein, wie er künftig aus Wohlanständigkeit die Mädchen schone. Jenseits des Voreuxschachtes, wo er endlich unbehindert zu Rasseneur hätte zurückkehren können, um sein Abendessen einzunehmen, folgte er ihnen noch immer, begleitete sie zum Dorfe, blieb da eine Viertelstunde im Schatten verborgen stehen und wartete, bis Chaval endlich Katharina heimkehren ließ. Als er sich vergewissert hatte, daß sie nicht mehr beisammen waren, nahm er seinen Gang wieder auf und wanderte sehr weit auf die Straße gen Marchiennes hinaus, an nichts denkend, zu gedrückt und zu traurig, um sich in einem Zimmer einzuschließen.
    Erst eine Stunde später gegen neun Uhr durchschritt Etienne wieder das Dorf, indem er sich sagte, er müsse zu Nacht essen und schlafen gehen, wenn er am nächsten Morgen um vier Uhr wieder wach sein wolle. Das Dorf schlief schon ganz schwarz in der nächtlichen Finsternis. Kein Lichtschein sickerte durch die Fensterläden; die langen Häuserreihen waren in den tiefen Schlaf der schnarchenden Kasernen versunken. Bloß eine Katze lief durch die leeren Gärten. Der Tag war zu Ende; die Arbeiter sanken vom Tische in das Bett, erdrückt von Müdigkeit und Sättigung.
    In der beleuchteten Wirtsstube Rasseneurs fand er einen Maschinisten und zwei Tagarbeiter bei ihrem Bierschoppen. Bevor er eintrat, warf Etienne noch einen letzten Blick in die dunkle Nacht hinaus. Er fand dieselbe schwarze Unermeßlichkeit wie am Morgen, als er, vom Sturm gejagt, hier ankam. Vor ihm hockte der Voreuxschacht, einem bösartigen Tiere gleich, undeutlich, bloß da und dort das winzige Licht einer Laterne zeigend. Die drei Kohlenfeuer brannten frei auf dem Hügel wie blutrote Monde, von denen sich dann und wann die ins Ungemessene vergrößerten Schattenrisse des Vaters Bonnemort und seines gelben Gaules abhoben. Darüber hinaus in der flachen Ebene hatte der Schatten alles verschlungen: Montsou, Marchiennes, den Wald von Vandame, das weite Meer der Rüben- und Getreidefelder, wo nur mehr -- fernen Leuchtfeuern gleich -- die blauen Feuer der Hochöfen und die roten Feuer der Koksöfen glänzten. Immer dichter senkte die nächtliche Finsternis sich herab; jetzt fiel der Regen, langsam und andauernd, und hüllte die Nachtlandschaft in seine eintönige Flut ein. Nur eine einzige Stimme blieb hörbar: der kräftige, langsame Atemzug der Fördermaschine, die Tag

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