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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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schluckte.
    Fluch drittens, weil das Leben weitergeht.
    Was soll dem da die makellose Trias
    von letztem Licht, von Frau und warmer Nacht,
    der tags darauf doch weitermachen muß,
    so, wie er bisher lebte: makelvoll–?

II
    Im Licht
    Wetterlehrgedicht
    Da fängt wieder so ein goldener Tag an.
    Wird er wohl auch so golden enden?
    Ich lasse ihn auf mich zukommen.
    Kann ihn sowieso nicht ändern.
    Mit dem Wetter ist kein Bund zu schließen.
    Darauf, daß es schön bleibt, sollte man nicht wetten.
    Lob und Tadel kratzen es nicht groß.
    Warum also dagegen wettern?
    Schlechtes Wetter geduldig wegstecken.
    An gutem sich stillvergnügt laben.
    Aus allen Wettern das Beste machen.
    Und nie über das Wetter labern.
    Montaieser Mittagsgedichte
    Beredtes Grün
21. Mai
    Ins Grün starrn. Es scheint dem Menschen eigen,
    daß er ins Grün starrt. Das Grün läßt ihn schließen
    auf Vögel, auf Tiere, auf Früchte, auf Wasser,
    auf Essen und Trinken. Aufs Überleben.
    Die Nester, ich raub sie nicht aus, die Tiere,
    ich töte sie nicht. Die Früchte, das Wasser
    kauf ich im Laden. Und sitz doch und starre
    verzückt in das Grün und kann mich nicht lösen
    vom leicht bewegten Versprechen: Du findest
    hier Vögel und Tiere, Mensch, und Früchte
    und Wasser und Schatten der Erde und starrend
    vor Grün einen Ort, da überlebt sichs.
    Erinnerung an Wolf
31. Mai
    Als ich bei Tisch das Glas ergriff,
    war das zu rasch getan.
    Vier Tropfen fielen auf den Stein,
    da sah der Tod mich an.
    Vier Flecken Wein auf Ziegelstein,
    das macht zwei Augen und
    darunter einen Nasenpunkt
    und unter dem ein Mund.
    Die Augen wie zwei Höhlen starr,
    die Nas wie abgehaun,
    der Mund, wie wenn er sprechen wollt:
    da spürte ich ein Graun.
    Ich wischte rasch die Flecken weg
    und hob das Glas zum Mund.
    Da fiel mir jener andre ein,
    der nicht mehr sprechen kann.
    Der vor drei Jahren auf den Tag
    am nahen Meer verstarb.
    Ich trank und dachte mir: Er fehlt
    und fehln wird er hier immer.
    Stimmen im Kopf
1. Juni
    Habe Stimmen im Kopf,
    sollte sie reden lassen.
    Hörend pack ich sie beim Schopf.
    Schreibend kann ich sie fassen.
    Stehn sie erst auf dem Papier,
    seh ich das Jubeln, das Hassen,
    das Raunen der Stimmen vor mir.
    Sie sprechen von mir und für sich,
    aus ihnen stöhnt Engel, tönt Tier:
    Mich lesend, erfahre ich mich.
    Sehen und hören
4. Juni
    Was einer sieht, was einer hört,
    das ist nicht einerlei.
    Ich sehe schiere Schönheit, doch
    ein Piepen ist dabei.
    Schön bist du, Licht. Schön bist du, Land.
    Wie schön, daß es euch gibt!
    Wie unschön, daß ein steter Schall
    euch sowie mich bepiept!
    Der Schall, der dringt vom Steinbruch her.
    Dort stehn Geräte groß.
    Die fressen sich mit aller Macht
    in Mutter Erdes Schoß.
    Ich sehe diese Schändung nicht,
    ich höre bloß von ihr.
    Ich blick in schiere Schönheit, doch
    das Piepen dringt zu mir.
    Das Piep, Piep, Piep war taglang still.
    Vielleicht, weil mans vergaß.
    Vielleicht, weil das das Piepen ließ,
    was sich ins Erdreich fraß.
    Jetzt aber piepts und teilt mir mit:
    Was immer du beschaust
    an schönem Schein, er schützt dich nicht
    vor dem, wovor dir graust.
    Vor Macht, vor Gier, vor Geld vor Recht,
    vor Kraft, Dreck, Staub und Schall:
    Blick du nur lieb ins schöne Grün -
    uns gibt es überall.
    Schon um das Eck siehts anders aus:
    Unschön und ungeliebt.
    Du kannst und willst davon nichts sehn?
    Dann wirst du halt bepiept.
    Selbstportrait zum Vierten
7. Juni
    Ich bin ein schwerer, alter Herr,
    mein Herz ist leicht und jung.
    Das war schon einmal umgekehrt,
    sagt die Erinnerung.
    Denk, wie du auf der Mauer standst!
    Ein Foto hielt es fest.
    Du warst ein Strich, Bub, was sich von
    dem Herz nicht sagen läßt.
    Dein Herz war wund. Dein Herz war schwer.
    Es sehnte sich nach Ruh.
    Daß du nicht von der Mauer sprangst,
    verwundert heut noch. Du
    hast damals nicht auf dich gesehn.
    Hast nur aufs Herz gehört.
    Was dich am Leben halten sollt,
    hätt dich ums Haar zerstört.
    Dein Körper hielt dem Herzen stand.
    Das arme Herz genas.
    Verdenke deinem Körper nicht,
    was der zusammenfraß
    aus Freude, daß das schwere Herz
    ihn nicht nach unten zog.
    Er fraß und fraß, bis daß er selbst
    mehr als das Herze wog.
    Wenn er heut auf die Mauer tritt,
    wird ihm ums Herz so leicht:
    Mir ist, als ob ich fliegen könnt!
    Wohl dem, der das erreicht.
    Von Linde zu Linde
8. Juni
    Was hat die Linde denn davon,
    daß ich sie rieche?
    »Wer net dumm froagt, bekommt koa Antwort«,
    sagt der

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