Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Lettern:
»Du zählst jetzt zu den Kirchenvettern
und wirst nach ein, zwei Probejahren,
wenn wir mit dir zufrieden waren,
ein Kirchenonkel, um sodann -
vorausgesetzt, du hältst dich ran -
zum Kirchenvater aufzusteigen…«
Der Jüngling las. Es herrschte Schweigen.
»Tja«, sprach er dann. »Was heißt hier Tja?
Wie lautet deine Antwort – na?«
»Tja – das besagt, nun ja, nicht nein…«
»Moment mal – soll das witzig sein?
Wie ist das? Wirst du Kirchenvater?«
»Ich will's versuchen.« Und das tat er.
Ein zeitkritisches Gedicht
Herr M. hat
sein Kind
zu Tode
geprügelt.
Sein Dackel Waldi
brauche mehr
Platz gab
er zur
Entschul
ding
ung
ang.
Zu einem Satz von Mörike
Ein Tännlein grünet wowerweiß im Walde -
doch wer weiß heut noch, wer dies Weiß ersann?
Vor hundert Jahren war's, als Erwin Wower
vor Erwin Zink und Erwin Kremser hintrat
und sprach: »Ich hab ein neues Weiß erfunden,
in Zukunft wird man mit ihm rechnen müssen.«
Und in der Tat, das Weiß von Erwin Wower
triffst heutzutage du auf Schritt und Tritt:
Die junge Braut, die wowerweiß errötet,
der Hagestolz, der wowerweiß ergraut,
die nackte Haut, die wowerweiß gebräunt wird,
der Enzian, der wowerweiß erblaut -
sie alle, samt dem Tännlein, eint ein Band:
Das Weiß, das Erwin, wo, wer weiß, erfand.
Zu zwei Sätzen von Eichendorff
Dämmrung will die Flügel spreiten,
wird uns alsobald verlassen,
willst du ihren Flug begleiten,
mußt du sie am Bürzel fassen.
Freilich, mancher, der so reiste,
fiel aus großer Höh' hinunter,
weil er einschlief und vereiste.
Hüte dich, bleib wach und munter.
Das Scheitern einer Ballade
Eine Ballade
Fürst Friedrich stand im Krönungssaal,
wie leuchtete sein Ohr so fahl!
Und jeder, der es sah, erschrak,
weil in ihm so viel Fahlheit lag.
»Lag«? Sagt man da nicht besser »schwang«?
Fürst Friedrichs Herz schlägt wild und bang.
»Schwang«? Stimmt es denn, daß Fahlheit schwingt?
Fürst Friedrich sieht sich jäh umringt.
Was macht denn Fahlheit? Schimmert sie?
Fürst Friedrich beugt sein rechtes Knie.
Nein, nein, sie schimmert nicht, sie glänzt!
Fürst Friedrich wird mit Laub bekränzt.
»Glänzt« – ist das schon das rechte Wort?
Laut lärmend zieht die Meute fort.
Halt! Fahlheit glänzt nicht, Fahlheit – na!
Moment – ist denn kein Fürst mehr da?
Wo ist der Fürst verdammt noch mal?
Verlassen liegt der Krönungssaal,
aus dem nun auch noch der Poet -
ein Murmeln auf den Lippen – geht:
»Wie ist denn Fahlheit? Außer fahl?
Na ja. Egal. Ein andermal!«
Mondgedicht
. . , -
fertig ist das Mondgedicht
Philosophie-Geschichte
Die Innen- und die Außenwelt,
die warn mal eine Einheit.
Das sah ein Philosoph, der drang
erregt auf Klar- und Reinheit.
Die Innenwelt,
dadurch erschreckt,
versteckte sich in dem Subjekt.
Als dies die Außenwelt entdeckte,
verkroch sie sich in dem Objekte.
Der Philosoph sah dies erfreut:
indem er diesen Zwiespalt schuf,
erwarb er sich für alle Zeit
den Daseinszweck und den Beruf.
Wenn sich
Wenn sich, nachtbedingt erkaltet,
Wiesen morgendlich erwärmen
und der Herr die Dame faltet,
um zur Arbeit auszuschwärmen,
um sich lebend, lobend, labend
weltverloren zu erneuen -
Wird er liebend noch am Abend
die Entfaltete erfreuen.
Pharaos Fluch
»Drei Siegel schützten des Pharao Grab,
Lord Kilmore!«
»Und schützen sie sie, ich reiß sie herab,
das wäre ja noch schöner.«
Und als er das erste Siegel erbrach,
laut lachend,
da drang ein Grollen aus dem Gemach,
so ein Grummeldibrummel.
Und als er das zweite Siegel erbrach,
noch lächelnd,
da tat es einen entsetzlichen Schlag,
der mit Bumsti nur unzutreffend wiedergegeben ist.
Und als er das dritte Siegel erbrach,
versteinert,
da erklang eine Stimme, die also sprach:
»Immer herein, wenn's kein Grabschänder ist.«
»Die Tür steht offen, das Grab ist dein,
Lord Kilmore!«
»Und steht sie auch offen, ich geh nicht hinein,
die da drin scheinen etwas gegen Grabschänder zu haben.«
Und er stieg auf sein Nord und sprengte gen Pferd -
»Mylord, ist was?«
»Ach, seit jenem Tag mach ich alles verkehrt,
und daran ist Pharaos Fulch schlud.«
Ein Sonntagnachmittag
bei Strindbergs
Wahnsinn, Schreie, wildes Fluchen:
»August, da ist Gift im Kuchen!«
Irrsinn, Funkeln, Widerworte:
»Harriet, iß jetzt deine Torte!«
Keuchen, Stöhnen, hartes Zischen:
»August, dich wird's auch erwischen!«
Schrecken, Schwanken,
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