Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
endlich trat
Und endlich trat das Glück herein,
sehr still, auf sieben Zehen.
Im frühen Morgensonnenschein
konnt ich es humpeln sehen.
»Was ist mit deinen Zehen, sprich!«
»Darüber spräch ich lieber nicht.
Drei hat mir eine Tram gekappt -«
»Kann man nichts machen. Pech gehabt.«
Denkt euch
Denkt euch, ich habe den Tod gesehn,
es ging ihm gar nicht gut.
Seine Hände wirkten so seltsam bleich,
so gar nicht wie Fleisch und Blut.
Und auf dem dürren Hals saß gar
ein Kopf, der ganz aus Knochen war.
Aus Knochen, ganz aus Knochen, denkt!
Da hab ich ihm fünf Mark geschenkt.
Terzinen über die Vergesslichkeit
nach Kuno von Hofmannsthal
Noch spür ich ihren Dingens auf den Wangen,
Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
Dings sind, für immer fort und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt
Und viel zu kommnichtdrauf, als daß man klage,
Daß alles gleitet und vornüberrinnt.
Und daß mein eignes… Na! durch nichts gehemmt
Herüberglitt aus einem Kind? Ja, Kind,
Mir wie ein Hut unheimlich krumm und fremd.
Dann: daß ich auch vor Jahren hundert war
Und meine Ahnen, die im roten Hemd
Mit mir verdingst sind wie mein eignes Haar.
So dings mit mir als wie mein eignes Dings.
III
Dichter Dorlamm
Lokal-Bericht
Dichter Dorlamm tritt in ein Lokal,
und er sagt sich: Na, dann woll'n wir mal!
Na, dann woll'n wir mal – hier stockt er schon,
denn am Tresen steht der Gottessohn.
Steht am Tresen und bestellt ein Bier,
und der Wirt schiebt ihm eins rüber: Hier.
Hier das Bier. Der Gottessohn ergreift es.
Da ertönt ein Lied. Und Dorlamm pfeift es.
Pfeift das Lied ›O Haupt voll Blut und Wunden‹.
Oh, sagt Jesus, danke, sehr verbunden.
Wirklich freundlich, sind Sie etwa Christ?
Nein, sagt Dorlamm da, weil er's nicht ist.
Bin es nicht, sagt er, bin's nie gewesen.
Jesus zieht ihn lächelnd an den Tresen.
Zieht ihn, um zugleich dem Wirt zu winken:
Dieser Herr will sicher auch was trinken!
Ja, der Herr? Was darf es denn da sein?
Ich, sagt Dorlamm, möchte einen Wein.
Einen Wein? Der Wirt füllt den Pokal.
Na, sagt Jesus, Prost. Dann woll'n wir mal!
Entstehungsgeschichte
Für Ror Wolf
Dichter Dorlamm will ein Epos schreiben,
»Das«, sagt seine Frau, »läßt du hübsch bleiben.«
»Macht nichts«, sagt er, »wird's halt ein Roman.«
Doch die Frau verbietet's ihrem Mann.
»Also gut«, sagt er, »dann wird's ein Stück.«
Aber seine Frau pfeift ihn zurück.
»Wenn das so ist, wird's halt 'ne Geschichte.«
Seine Frau macht diesen Plan zunichte.
»Nein? Dann schreib ich eben eine Fabel.«
Seine Frau greift nach der Bratengabel.
»Keine Fabel? Gut. Eine Ballade.«
Seine Frau verfolgt ihn ohne Gnade.
»Nein, mein Schatz? Wie wär's mit ein, zwei Oden?«
Seine Frau wirft ihn gekonnt zu Boden.
»Liebling, halt! Ich schreib dir eine Karte!«
»Abgemacht«, sagt seine Frau, »ich warte!«
Dorlamm aber fuhr noch auf der Stelle
mit dem 10 Uhr 20 Zug nach Celle.
Das Brüllen
Dichter Dorlamm fängt, wie wider Willen,
eines schönen Tages an zu brüllen.
Brüllt im Freien, brüllt bei sich zu Hause,
brüllt mit Inbrunst und brüllt ohne Pause.
Fragt man ihn jedoch, warum er brülle,
sagt er, daß er 's Wort der Schrift erfülle,
das da laute: Nur durch stetes Brüllen
lasse sich das Wort der Schrift erfüllen.
Fragt man aber, welche Schrift das sei,
flüchtet er sich wieder ins Geschrei,
das da währt, solang das Brüllen dauert.
Fragt nicht weiter, Brüder, schweigt und trauert.
Der Bund
Dichter Dorlamm stiftet einen Bund
zwischen sich und seines Nachbarn Hund.
Einen Bund, der ungefähr besagt,
daß ein jeder tut, was ihm behagt.
Daß der Nachbarhund zum Beispiel bellt,
wie und wo und wann es ihm gefällt.
Wobei Dorlamm ihn wo, wie und wann
jederzeit um Ruhe bitten kann.
Kann, nicht muß. So, wie des Nachbarn Hund
weiterbellen darf, auch ohne Grund.
Ähnlich klärt der Bund die Punkte Beißen,
Klauen, Betteln, Indengartenscheißen.
Fragt man Dorlamm, ob das denn was bringe,
gibt er sich erstaunlich guter Dinge.
Alles, meint er, bleibe zwar beim alten,
doch es sei nun schriftlich festgehalten.
Und daß er das schwarz auf weiß besitze,
fände er in jeder Hinsicht Spitze.
Spitze – mehr ist leider nicht zu hören.
Plötzlich bellt da wer. Der Rest ist Stören.
Reich der Sinne
Dichter Dorlamm hält beim Schreiben inne,
denn auf einmal schwinden ihm die Sinne.
Erstens kann er plötzlich nichts mehr schmecken
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