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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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Sonnenflecken,
    die bei Licht betrachtet dunkler sind als alles,
    was die Deuter so in den Dunkelheiten der Dunklen entdecken.
    Gespräch über die Dinge
    »Das stumme Sein der Dinge -
    ich will es nicht beschreien.
    Doch wie, wenn nicht mit Worten,
    kann ich ihm Sein verleihen?«
    »Es rühren keine Worte
    ans stumme Sein der Dinge.
    Du mußt es nicht beschreien.«
    »Es reicht, wenn ichs besinge?«
    Er überdenkt einen Satz,
den er im Zug gehört hat
    »Guck mal, diese schönen Wiesen« -
    tief im Menschen lebt ein Wissen
    darum, daß da etwas schön ist,
    das man sehn kann.
    Daß da was ersichtlich schön ist,
    weiß der Mensch, und er vertraut drauf,
    daß er nicht der einzge Mensch ist,
    der das sehn kann.
    Anders wäre ja sein »Guck mal«
    unbegreiflich. Unverständlich
    auch sein Wissen darum, daß die
    Wiesen schön aussehn.
    Aber wenn du weißt, was schön ist,
    Mensch, wieso stellst du auf Wiesen
    unaufhörlich Häßliches,
    das niemand sehn mag?
    Mensch, sag nicht, das sei nun mal der
    Preis für unsern Lebensstandard.
    Wer ums Schöne weiß, der weiß auch
    ums Unansehnliche.
    Weiß auch, daß der Preis zu hoch wär,
    schrumpfte jener schlichte Hinweis
    »Guck mal, diese schönen Wiesen«
    mangels schöner Wiesen zu:
    »Guck mal: Nichts zu sehn.«
    Besserwisser-Blues
    Leise rieselt der Schnee
    Und das mitten im August
    - Sind Robinienblüten, der Herr!
    Ist mir wohl bewußt
    Suchte den schönen Vergleich
    Sagte statt »Blüten« »Schnee«
    - Sind aber Blüten viel schöner, der Herr!
    Dann ändern wir eben den Dreh:
    Leise rieseln die Blüten
    Und das mitten im Januar
    - Am Jahresbeginn fällt Schnee, der Herr!
    Ist auch mir durchaus klar
    Wollte die Gleichsetzung retten:
    Bruder Schnee – Blüte Schwester
    - Schnee ist nicht gleich Blüte, der Herr!
    Bin ja schon still, mein Bester.
    Dichtermann macht eine Frau an
    Frau, du hast nie begriffen,
    wer sich nach dir gesehnt:
    Den Heine unsrer Tage,
    Gerücht heut, morgen Sage,
    MICH hast du abgelehnt.
    Frau, du wirst nie begreifen,
    was du dir da versiebt:
    Wer sich mir hingegeben,
    wird ewig weiterleben,
    als Frau, die MICH geliebt.
    Begreif, Frau! Laß dich retten
    aus deiner Zeitlichkeit.
    Du pfiffst aufs Micherhören,
    drum laß mich dich beschwören:
    Frau, mach für DICH die Beine breit.
    Bruder Rilke
    Zur Zeit denk ich immer wieder an Rilke.
    Zehn Jahre lang hat er als Dichter geschwiegen.
    Und nun auch ich. Schon seit gut zehn Tagen.
    »Bruder« nenn ich im Geiste Rilke.
    Zehn Jahre – zehn Tage: Das sei unvergleichbar?
    Dagegen halt ich die einfache Wahrheit:
    Auch Rilkes zehn Jahre begannen dereinst -
    genau wie bei mir? – mit zehn Tagen. Stimmts, Bruder?
    So
    Manchmal, wenn ich so mein Werk durchblätter,
    finde ich es gar nicht so verkehrt.
    Hier und da hats doch so schöne Stellen,
    daß ich denke: So was – Donnerwetter!
    Die das nicht so sehn, die hab'n doch Bretter
    vor den sogenannten Köpfen. Traurig,
    aber wahr. So denke ich im stillen
    manchmal. Wenn ich so mein Werk durchblätter.
    Gesang im Dunklen
    Ihr glaubt, ich sei ein Verlierer?
    Ich weiß, ich bin ein Gewinner.
    Die Vermutung liegt zumindest nah,
    der Gewinner sei immer der Spinner.
    Ihr denkt, ich sei ein Verklärer?
    Ich glaub, ich bin ein Berichter.
    Womit ich nichts zurücknehmen will:
    Der Berichter ist immerhin Dichter.
    Ihr hofft, ich sei ein Verworfner?
    Ich sag: Ich bin ein Gerechter.
    Womit euer Schicksal besiegelt ist.
    Denn Gerechter, das meint: Euer Schlächter.
    Morgen eines Dichters
    Frühmorgens den verschlafenen Hund anleinen
    Vorm Haus die Plastikflasche aufheben
    Sie bis zum nächsten Mülleimer tragen
    Den gewohnten Weg durch die Grünfläche einschlagen
    Vor der Bank des Penners den Schritt verlangsamen
    Rasch und diskret den Schlafenden passieren
    Beim Anblick der Pfütze unter der Bank rätseln:
    Was hat denn die da hervorgerufen?
    Und die Antwort nur allzu genau ahnen
    Die Wiese erreichen und den Hund ableinen
    Wartend stehenbleiben, den Hund machen lassen
    Das Gemachte aufnehmen und entsorgen
    Richtung Kiosk schlendern, nach dem Hunde rufen
    Den Kiosk erreichen, den Hund wieder anleinen
    Dem Griechen das Geld für die Zeitung reichen
    Gemächlich durch stille Straßen heimkehrn
    Auf die Frage: Was erlebt? mit Was denn? antworten–:
    Und trotzdem erschütterbar geblieben zu sein
    Im totgesagten Park
    Seines Steigens Ausdruck in dem leeren Baum gesehen zu haben
    Vor dem ungeheuer Oben der sehr weißen Wolke
    Und beim Hören eines dieser

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