Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
Vom Netzwerk:
fortan besser geht.
    Gähnend hört der Dämon zu,
    denn bald geht man ja zur Ruh,
    was für ihn heißt: Ab zur Kammer
    der diversen Vorschlaghammer.
    Prüfend wiegt er die Geräte:
    Ob's heut nicht der kleine täte?
    Wie auch immer: Bis zum Tagen
    wird dann wieder zugeschlagen.
    Nicht aus Bosheit. Mit Bedacht.
    Tag ist Tag, und Nacht ist Nacht.
    Das Treffen
    Frau Sorge traf am Krankenbett
    des Gernhardt den Herrn Kummer.
    »Herr Kummer, das ist aber nett!
    Wir wolln den Gernhardt-Schlummer
    nicht störn, doch wenn er mal erwacht,
    läuft die bewährte Nummer:
    Sie kümmern sich, daß er sich sorgt,
    ich sorge für den Kummer.«
    Frühstück im Klinikum der
Johann Wolfgang Goethe-
Universität Frankfurt am Main
    Von Wand und Frau,
    von Tass' und Mann,
    von allen blickt dich
    Goethe an.
    Blickt starr auf all
    die kranken Leute:
    »Grüß Gott! Wie fühlen wir
    uns heute?«
    Blickt von der Tass'
    auf mich und sinnt:
    »Wie geht es dir, mein
    liebes Kind?«
    »Bin weder Kind
    noch lieb. Sollst wissen:
    Mir geht's heut morgen
    echt besch…«
    Lied von der Hinfälligkeit
    1
    Das Lied des Hinfälligen,
    sie hören es nicht gern,
    die Aufrechtstehenden.
    »Ich falle hin,
    ihr werdet auch mal hinfallen!«
    »Fall du erst mal hin,
    dann sehen wir weiter!«
    2
    Das Leid des Hinfallenden,
    sie sehen es nicht gern,
    die Aufrechtgehenden.
    »Ich bin hingefallen,
    kann mir vielleicht jemand aufhelfen?«
    »Um dabei selbst auf die Nase zu fallen?
    Nichts da. Wir ziehen weiter.«
    3
    Das Los des Hingefallenen,
    sie teilen es nicht gern,
    die Aufrechtdenkenden.
    »Schreitet ruhig über mich hinweg!
    Aber müßt ihr dabei so fest auftreten?«
    »Ihr Hingefallenen bildet das Pflaster für unser Fortkommen.
    Erst wenn ihr eingeebnet seid, geht's weiter.«
    4
    Das Lob des Hingegangenen,
    sie singen es nicht gern,
    die Weitergehenden.
    »Wir bereiteten euch die Straße
    durch den Morast der Zeit!«
    »Nicht darauf hören! Weiter, rasch weiter!
    Schon hebt seinen Stiefel der Nachrückende.«
    Was gut tut
    Gut tun der Hund und die Katze dem Kranken.
    Nie befragt der Hund ihn »Wie geht's?«
    Stets verschweigt die Katz ihr »Du Armer!«
    »Fressen!« bedeutet dem Kranken der Hund.
    »Spielen!« bedrängt den Kranken die Katze.
    »Such's Mäuschen!« lockt der Kranke die Katze.
    »Wohl bekomm's!« wünscht der Kranke dem Hunde.
    Weiteren Trosts nicht bedürftig, trolln sich
    Hund und Katz in die Körbchen und rolln sich.
    Tief getröstet wacht lange der Kranke.
    21. April. Nach der Lektüre
    Hab mich grad mit Krebs befaßt,
    nicht in Hast, doch ohne Ruh.
    Weiß nun mehr, doch nicht genug,
    noch nicht klug und nicht mehr dumm.
    Soll entscheiden: Wo geht's lang?
    Mir wird bang, doch ich tu cool:
    Daß dir keiner raten kann,
    macht nichts, Mann. Da mußt du durch.
    Kurznachricht
    Herr Aufgeschnitten
    läßt wieder bitten:
    »Frau Unversehrt
    wird sehr begehrt!«
    Begegnung
ODER
dead man walking
    Was sagt man dem, der's nicht mehr packt?
    Man kommt nicht weit mit »Halt dich steif«,
    man fährt nicht gut mit »Weiter so«,
    man scheitert mit »Das gibt sich«.
    Da sagt man doch am besten nichts.
    Nicht »Halb so schlimm«, nicht »Renkt sich ein«,
    nicht »Da muß jeder einmal durch«,
    schon gar nicht »Wird schon werden!«
    Nachricht von der Chemotherapie
ODER
ein flotter Dreier
    »Erschöpfung, Schmerzen, Übelkeit« -
    welch flottgewollter Dreier!
    Wer seiner Schmerzen müde ist,
    versucht sein Glück als Reiher.
    Und wenn sich's ausgereihert hat,
    dann gähnt das müde Herz:
    Nicht wahr, ihr drei verlaßt mich nicht,
    Erschöpfung,
    Übelkeit und
    Schmerz?!
    Die Chemo spricht
    Du hast die Wahl
    zwischen Hand und Haar.
    Höre:
    Hie Oxaliplatin.
    Beeinträchtigt Nerven
    an Füßen und Händen.
    Da kann es passieren,
    daß dir jener Stift,
    mit dem du dies aufschreibst,
    aus der Hand fällt.
    Hie Irinotecan.
    Verursacht Schäden
    im Haarbereich.
    Da kann es geschehen,
    daß dir jenes Haar,
    das du dir grad raufst,
    in der Hand bleibt.
    Und nun wähle.
    5. Mai. Beginn der Chemo
    Krebskrieger fängt sein Tagwerk an:
    Auf denn, Chemie! Heut heißt es: Ran!
    Krebskrieger weiß, daß unterliegt,
    wer Krebs nur kriegt und nicht bekriegt.
    Krebskrieger muß aufs Ganze gehn.
    Er stellt die Frage: Wer packt wen?
    Packt Mann den Krebs? Packt Krebs den Mann?
    Krebskrieger fängt sein Kriegswerk an.
    Krankheit als Chance
Heute: Beim Hosenkauf
    Hosenkauf ist tief verhaßt,
    wenn dir keine Hose paßt.
    Dito ist er hoch genant,
    wenn dir jede Hose

Weitere Kostenlose Bücher