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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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spannt.
    Ergo cancelst du den Kauf,
    fliehst den Ort in schnellem Lauf
    und verschiebst das Wiederkommen,
    bis du wieder abgenommen.
    Doch da du kein Stück abnimmst,
    folglich auch nicht wiederkimmst,
    trägst du Kleidungsstück und Los,
    bis am End die alte Hos',
    lebenssatt und ausgeweitet,
    dich noch in den Tod begleitet.
    Die Gesunden sind zumeist
    selbst im Grabe rund und feist,
    während wer an Krebs erkrankt,
    peu à peu per se verschlankt.
    Erstens weil er, operiert,
    schon mal an Substanz verliert.
    Zweitens weil er, therapiert,
    nicht mehr nach Genüssen pliert,
    da die Chemikalien beiden,
    Aug wie Bauch, die Lust verleiden.
    Ergo macht sich Unlust breit,
    doch du merkst zur gleichen Zeit,
    daß dir, weil du gierverlassen,
    bald schon alle Hosen passen.
    Und du hörst von allen Seiten:
    »Du siehst gut aus, Herrschaftszeiten!«
    Also sei dem Krebs nicht bös,
    denke vielmehr generös:
    »Ich bin schlank, die Welt ist rund.
    Nur wer krank ist, lebt gesund.«
    7. Juni. Rückblick und Ausblick
    Ich habe es gehabt.
    Bei mir hat es geklappt.
    Zum Auftritt und zum Bücherkauf,
    da kam das Lesevolk zuhauf.
    Dann hat er mich geschnappt.
    Dann hat er mich geschrägt.
    Mich vorerst stillgelegt.
    Jetzt setzt er die Termine fest,
    gibt grünes Licht oder den Rest.
    Ich bin der Ast, er sägt.
    Bin zugleich Kombattant.
    Mein Körper Feindesland
    ist abgefüllt mit Kriegs-Chemie.
    Das zwäng den Tumor in die Knie,
    versichert der Verstand.
    Ich werde es erfahrn.
    Wie sinnvoll Opfer warn,
    entscheidet sich erst unterm Strich.
    Was wird da stehn: »Er« oder »Ich«?
    Den Rest könn' wir uns sparn.
    Drei Freunde
ODER
XYZ
    Freund X
oder
Ihm nach
    »Ich habe Krebs.« »Ich hatte Krebs.«
    Dazwischen erstreckt sich ein Meer.
    Er hatte ihn. Ich habe ihn.
    Ihm schwimm ich klamm hinterher.
    Freund Y
oder
Metapher als Krankheit
    Ich schwimme im Glück.
    Ich bade im Licht.
    Das sagt sich so leicht,
    doch das lebt sich nicht
    wortwörtlich.
    Er liegt in der Scheiße.
    Er steckt im Kot.
    Das sagt sich nur schwer,
    denn er lebt es zur Not
    ortörtlich.
    Freund Z
oder
Beerdigung im Juni
    Den trat er rasch an,
    der Rührenichtdran.
    Er tat's mit Gewalt,
    der Vielergestalt.
    Er zückte sein Beil,
    der Nichtswirdmehrheil.
    Er schwang es behend,
    der Allshateinend.
    Er fällte den Freund,
    der Bösistsgemeint.
    Er rief uns zuhauf,
    der Sohörtesauf.
    Er nahm uns ins Licht,
    der Langbrenntesnicht.
    Er ließ uns im Laub,
    der Werdetzustaub.
    Wir blieben zurück,
    die Nochnichtgepflückt.
    Vor und nach
    Vor dem Tod sind wir die Dummen.
    Wie wir auch den Tod bereden,
    schweigt er und bringt schweigend jeden
    Redner eisern zum Verstummen.
    Vor dem Tod versagt das Denken.
    Ist der Denker in der Lage,
    nichts zu denken? Diese Frage
    sollte sich ein Denker schenken.
    Viele, die das nicht ertrugen.
    Keiner, der die Frage löste,
    nicht einmal der allergrößte:
    Sind wir nach dem Tod die Klugen?
    Der Tag des Herrn Dichter
ODER
Erinnerung an bessere Tage
    Er pflegte die Sonne mit »Ach« zu grüßen
    Er pflegte den Yoghurt mit Honig zu süßen
    Er pflegte den Vers mitsamt seinen Füßen – :
    So war sein Morgen.
    Er pflegte den Wein glasweis zu stürzen
    Er pflegte das Brot mit Öl zu würzen
    Er pflegte das Schreiben und übte das Kürzen – :
    So war sein Mittag.
    Er pflegte »Mein letztes Schlückchen« zu lügen
    Er pflegte den Hunger mit Fleiß zu betrügen
    Er pflegte das Wort und die Kunst, es zu fügen – :
    So war sein Abend.
    Nicht mit mir
    Mich gibt es doch nur einmal
    Mich kann man doch nicht abserviern
    Mich will man halten, nicht verliern
    Und – Teufel auch! – begraben.
    Ich bin bei Gott ein Einzelstück
    So'n Stück gibt man doch nicht zurück
    Das hebt man auf und preist sein Glück:
    Wie schön, daß wir dich haben!
    7. August. Wahnsinn
    Es schleicht der Mensch,
    es schleicht der Hund,
    zum Schleichen haben beide Grund,
    den besten Grund, den sie je hatten:
    38 Grad im Schatten.
    8. August. Chemie und Wahnsinn
    Hitze, die mich einhüllt
    Chemie, die mich abfüllt
    Hitze, die mich aufheizt
    Chemie, die mich aufreizt
    Hitze, die mich eindampft
    Chemie, die mich kleinstampft
    Hitze, die mich matt macht
    Chemie, die mich platt macht
    Hitze von Außen
    Chemie von Innen:
    Möge die Bösere gewinnen.
    Zweierlei Therapie
    Weil Krankheit stets nach Heilung schrie,
    ersann der Mensch die Therapie.
    Die kann durchaus ein Segen sein.
    Doch gilt das durchweg? Leider nein.
    Spricht der Arzt von »adjuvant«,
    hängt der

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