Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
psychologischen Effekt: Man fühlt sich ganz einfach nicht so krank, wenn man…
Wer achtzehnmal zur Chemo kroch,
der schlägt hernach drei Kreuze.
Sie nervt, solang sie dauert, doch
im Nachhinein erfreut se:
Also Voraussetzung ist natürlich, daß die anschließende Computertomographie so gute, sprich so negative Befunde liefert wie die beiden Vorgängeruntersuchungen: »Nach zwei Zyklen einer adjuvanten Chemotherapie, bestehend aus 5-FU, Folinsäure und Irinotecan, ist der Krankheitsverlauf derzeit stabil ohne Hinweis auf einen erneuten Progreß« – wobei es ja irgendwie witzig ist, daß ein »negativer Befund« in diesem Zusammenhang etwas Positives darstellt und »kein Progreß« einen Fortschritt in Richtung Gesundung bedeutet. Ja, und dann stehen natürlich noch weitere Nachfolgeuntersuchungen an, Computertomographien und Koloskopien, und erst wenn die Befunde über einen Zeitraum von etwa fünf Jahren negativ sind, kann davon gesprochen werden, daß der Krebs besiegt worden sei, insofern bei diesem Bürgerkrieg im eigenen Körper von einem »Sieg« überhaupt die Rede…
Wer immer von der Chemo spricht,
tut das auf eigne Kappe.
Mein Fazit? Also: Sie ist nicht
von Gold. Und nicht von Pappe.
12. Dezember. Computertomographie
Zuerst wird geschluckt
(Kontrastflüssigkeit)
Dann wird gespritzt
(Kontrastflüssigkeit)
Dann wird geguckt
(mittels Röhre)
Ob da was sitzt
(im Unterleib).
Zuerst wird getankt
(beim Schlucken)
Dann wird gemußt
(in die Röhre)
Dann wird gebangt
(nach der Röhre)
Dann wird gewußt
(vor den Bildern).
Lagebeurteilung
Wollte immer schnell
abtreten.
Bin wohl bestimmt zum
Weilen:
Wie soll denn den,
der so langsam
ver geht ,
jemals das Ende
er eilen?
Zum guten Schluss
ein wirklich guter Rat
Ungutes ist zu berichten:
Dickdarmkrebs trifft alle Schichten.
Fünfzigtausend fällt er an,
und das jährlich,
dreißigtausend sterben dran,
sein wir ehrlich:
Totsein hilft nicht wirklich weiter.
Überleben wär gescheiter,
und das geht, vorausgesetzt,
daß dem Tod, ders Messer wetzt,
letzteres zu Boden sinkt,
ehe er den Stich anbringt.
So ein Tod geht über Leichen.
Nicht durch Worte zu erweichen,
muß man ihn durch Taten hindern,
unsre Lebenszeit zu mindern.
Jedem Heute folgt ein Morgen,
also gilt es vorzusorgen,
was im Falle Darmkrebs heißt,
daß man etwas Mut beweist
und den Darm charakterfest
einer Spieglung überläßt.
Einer Spieglung? Einer Reise!
Langsam, lichtgestützt und leise
dringt ein Auge ins Gekröse,
übermittelt gute, böse
Bilder, und ein Monitor
stellt sie Arzt und Model vor:
Rote Grotten, feuchte Schlunde,
hie Polypen, die im Grunde
harmlos sind, hie fahle Flecken,
die beim Arzt Verdacht erwecken.
Zwick! entnimmt er mittels Zange
eine Probe, und nicht lange
drauf vermeldet das Labor:
Stimmt, hier liegt ein Tumor vor.
Zack! Der Krebs hat sich geoutet,
weshalb unser Fazit lautet:
Besser ist's, den Darm zu spiegeln,
als das Leben zu besiegeln.
Klüger ist's, den Krebs zu schneiden,
als das Sterben zu erleiden.
Schöner ist's, zu therapieren,
als Gesundheit zu verlieren.
Haarig ist die Therapie,
aber immer,
kürzer lebt man ohne sie.
Das ist schlimmer.
Daher lautet meine Meaning:
Unterzieht euch diesem Screening,
da selbst der, der kein Prophet ist,
weiß, daß nicht mehr früh zu spät ist.
Früherkennung sei das Motto!
So ein Krebs ist zwar ein Lotto,
das, dem Zufall unterstellt,
den verschont und den befällt,
doch ein Schicksal ist er nicht.
Flackert auch das Lebenslicht,
kann doch der, der's früh erkennt,
helfen, daß es weiterbrennt.
Helfen. Das meint nicht: Erzwingen.
Doch beim Darmkrebs kann gelingen,
wonach alles Leben strebt,
nämlich: Daß es weiterlebt.
II
Krieg als Shwindle
2003. ENDE JANUAR. Die Präventivkriegsvorbereitungen der US-Regierung laufen auf Hochtouren, doch in Europa gibt es noch immer Staaten, die auf einer friedlichen Lösung des Konflikts durch die Fortsetzung der Arbeit von UN-Waffeninspekteuren im Irak bestehen. Für diese Abweichler findet der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Formulierung, sie gehörten zum »alten Europa« – eine Paarung, die am Jahresende zum »Wort des Jahres« gekürt wird.
Sonett von dem jungen Amerika
und den alten Europäern
Der am'rikan'sche Aar spreizt seine Schwingen
zu jugendfrohem Flug ins Land des Bösen.
Das gute Öl vom Saddam zu erlösen:
Jetzt oder nie muß dieser Streich gelingen!
Ach,
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