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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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behinderten Bombeneinsatzes sein, der ein neues Niveau konventioneller Zerstörungstechnik markiert. Nicht zuletzt von der »Mutter aller Bomben« verspricht sich das Pentagon eine friedensfördernde Wirkung bei der Zivilbevölkerung.
    Sonett vom Versuch eines
amerikanischen Pressesprechers,
einem irakischen Kind
den Krieg zu erklären
    Mein liebes Kind, wir wollen dich befreien.
    Das heißt: Wir müssen dich zuvor beschießen.
    Wenn du das so verstehst: Als das Begießen
    des Pflänzchens Freiheit, wirst du uns verzeihen.
    Mein Kind, dir blüht die Mutter aller Bomben.
    Wenn sie dich trifft, dann nimm das nicht persönlich.
    Wenn du sie triffst, so grüße sie versöhnlich:
    Wo keiner bohrt, kann niemand was verplomben.
    Das meint: Wenn wir dir deine Stadt zerhauen,
    dann mit dem Zweck, sie schöner aufzubauen.
    Sofern du tust, mein Kind, was dir geheißen,
    Wirst du schon bald das Reich der Freiheit schauen.
    Du zweifelst noch? Uns kannst du blind vertrauen:
    Wer dich beschießt, muß dich nicht noch bescheißen.
ANFANG APRIL. Der Irak wird von amerikanischen Truppen besetzt, und im ganzen Lande stürzen die Saddam-Statuen. Ihr Vorbild freilich ist verschwunden und er wird es noch lange bleiben: Erst am 14. Dezember gelingt es den Besatzern, den Mann zu fassen, dessen »decapitation« zu Beginn des Krieges ebenso fehlgeschlagen war wie bei nachfolgenden Versuchen.
    Sonett vom Entsorgen
eines Diktators
    Zu Kriegsbeginn hieß der Befehl: Enthaupten.
    Doch das ging schief. Der Schurke konnt' entkommen.
    Das hab ich unserm Blätterwald entnommen,
    dem immer dürreren, schon fast entlaubten.
    Seither ist Saddams Schicksal nicht entschieden.
    Der Schuft scheint unwillig, sich zu entleiben,
    sich zu entmannen oder zu entweiben -
    wird er für alle Zeit die Welt entfrieden?
    Nicht, wenn sie's schafft, ihn derart zu entfernen,
    daß es gelingt, ihm stückweis zum Entzücken
    der Gegner all die Glieder zu entreißen:
    Ihn nach und nach entbauchen und entkernen,
    entarmen und entbeinen und entrücken
    und ihm als Letztes seinen Kopf entsteißen.
ANFANG MAI. Am 2. Mai verkündet Präsident Bush das Ende der Kampfhandlungen – »mission accomplished«–, in den folgenden Monaten des Jahres 2003 werden mehr amerikanische Soldaten bei Schießereien und Attentaten umkommen als während der Dauer des offiziellen Krieges. Die Siegeserklärung wird von Drohungen gegenüber weiteren Schurkenstaaten wie Syrien und dem Iran begleitet, während der Grund, welcher in den Irak-Krieg geführt hatte – die Massenvernichtungswaffen–, von Paul Wolfowitz, dem stellvertretenden amerikanischen Verteidigungsminister, für unerheblich erklärt wird: Diese Waffen seien lediglich aus politischen Gründen derart in den Vordergrund gerückt worden. Bis Ende des Jahres werden keinerlei Beweise für die Existenz der vor Jahresfrist so eindringlich beschworenen irakischen Vernichtungspotentiale gefunden; am 3. Oktober räumt die amerikanische »Iraq Survey Group« ein, was Blix, der Leiter der UN-Waffeninspekteure, bereits vier Monate zuvor in seinem Abschlußbericht festgestellt hatte: Ergebnis Fehlanzeige. Im Januar 2004 schließlich unterläuft einem weiteren Kriegsherrn ein bezeichnender Lapsus: Der britische Premier Tony Blair spricht vor englischen Truppen in Basra statt von »weapons of mass destruction« versehentlich von »weapons of mass distraction«, also von »Massenablenkungswaffen«.
    Sonett vom Lehrmeister Krieg
    So'n Krieg macht klug. Was wußten wir vom Kurden,
    von Baath-Partei, Peschmerga und Sunniten,
    was war'n uns Mosul, Tikrit, was Schiiten,
    bevor wir täglich schlau und schlauer wurden?
    Bagdad – vertraut wie unsre Westentasche!
    Samt Saddam-City, Dschumhurija-Brücke,
    dem Palestine Hotel und jener Lücke,
    da der Palast stand. Friede seiner Asche.
    Klug schaun mer aus: Fachleute wider Willen.
    Schwer abgefüllt mit Tönen, Wörtern, Bildern
    aus des Zweistromlands nahgerückten Fernen.
    War's das? fragt mancher sich bedrückt im Stillen.
    Wird uns der Krieg bald neuen Schauplatz schildern?
    Soll'n wir als nächstes Syrien kennenlernen?

Später Spagat
    2006
    Für L.

I
    Standbein
    Povera Toscana 1998
    Du kommst an, und dein Blick empört sich:
    Bella Toscana?
    Die Bäume fast blattlos
    Die Trauben saftlos
    Die Hänge farblos
    Und das im September!
    Doch es fiel ja seit Juni
    kein Tropfen Regen:
    Warum nicht gleich morgen wieder abreisen?
    Du wachst auf, und dein Blick erbarmt sich:
    Verbrannte Toscana
    Wie

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