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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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warst du vor Jahr und Tag
    blätter- und früchtevoll
    makel- und fehlerlos
    War das ein September!
    Nun dieser verhärmte
    kummer- und jammervoll:
    Schwer, dich gerade jetzt im Stich zu lassen!
    Du bleibst da, und dein Blick verklärt sich:
    Tapfre Toscana!
    Hier hats ja noch Blätter
    Da schwelln ja noch Trauben
    Dort grünt ja ein Hang noch
    Wie er wohl endet,
    der Monat? Nicht glanz-
    aber stilvoll?
    Das wenigstens sollte man ja wohl noch abwarten können!
    Du reist ab, und dein Blick umflort sich:
    Cara Toscana!
    Die Bäume so blattlos
    Die Trauben so saftlos
    Die Hänge so farblos
    Und das im September!
    Doch alte Liebe
    rostet nicht!
    Oder liebt da ein rostender Alter?
    Toscana, 2002
    Zypressen muß ich nicht haben.
    Nicht welche, die sichtbar vergehen.
    Was stehen die in der Landschaft rum?
    Das Vergehen muß ich nicht sehen.
    Das zieht sich ganz schön, dieses Sterben.
    Das ist eine Sache von Jahren.
    Weshalb die so langsam den Bach runtergehn?
    So genau muß ich das nicht erfahren.
    Zypressen muß ich nicht sehen.
    Was nicht da ist, kann keiner vermissen.
    Warum mich das alles so total nervt?
    All das muß ich wirklich nicht wissen.
    Grosses Montaiesermittags-
verweigerungsgedicht
vom 30 . Mai 2002
    Wenn ich mich aufsetzte,
    was ich nicht tue -
    Alter Mann ist kein D-Zug,
    er braucht seine Ruhe – :
    Wenn ich mich aufrichtete,
    was ich nicht mache -
    Warum nicht? Das tut hier
    bei Gott nichts zur Sache – :
    Wenn ich jetzt aufstände,
    was ich schön lasse -
    Mir ist, als ob Aufstehn
    nicht recht zu mir passe – :
    Wenn ich das täte, wovon ich gesprochen:
    Ich sähe die schönste Toscana seit Wochen.
    Wiedersehn und Abschied
am 27 . Juni 2004
    Es tut mir in der Seele weh,
    wenn ich dich seh, Badía See.
    Einst warst du rings von Wald umsäumt,
    im Schilf versteckt, im Grün verträumt.
    Heut liegt dein Ufer bloß und nackt.
    Da haben Menschen zugepackt.
    Einst warst du voll Gesumm, Gesang,
    Getier, Gefrosch, Gelurch, Geschlang.
    Heut summt nichts mehr, heut fliegt nichts mehr.
    Dank Menschen bist du tiereleer.
    Einst sprang ich nackt in dich hinein:
    Hier war ich Mensch, hier durft ichs sein.
    Heut lohnts nicht mehr, sich auszuziehn.
    Wo Menschen wüten, muß Mensch fliehn.
    Einst schlug mein Herz, wenn ich dich sah.
    Heut geht mir deine Nacktheit nah.
    Grad, daß mich keine Träne näßt.
    Wir Menschen sind schon eine Pest.
    Von zweierlei Schweinen
    Stachelschweine fräßen seine Ernten,
    seien jede Nacht gewaltig tätig,
    dennoch sehe er sich außerstande,
    diese Räuber einfach zu erschlagen,
    seit er einmal eines dieser Tiere
    angefahren aufgefunden habe,
    bereits tot, mit ausgestreckten Ärmchen,
    die in kleinen Händchen ausgelaufen seien,
    regelrechten Kinderhändchen, Babyhändchen,
    derart menschlich, daß schon der Gedanke,
    solch ein zartes, handbegabtes Wesen
    zu erschlagen, ihm wie Frevel schiene…
    Seinen Blick auf seine Hände senkend,
    achtzigjährig, doch auch die warn einmal
    Kinderhändchen, schwieg Danilo lange,
    um dann unversöhnlich fortzufahren:
    Anders läg der Fall bei wilden Schweinen,
    die sich gleich den Stachelschweinen unterständen,
    Nacht für Nacht auf seinem Feld zu wildern.
    Kinderhändchenlos, dafür voll Hufen,
    hätten sie's sich selber zuzuschreiben,
    wenn der Mensch sie ohne Gnade tilge…
    Seine Hände wie zu Hufen ballend
    hielt Danilo ein, worauf ein Grunzen,
    schweinemäßig, das in Greisenlachen
    überging, die Morgenstille sprengte.
    Rückblick, Einsicht, Ausblick
    Durch die Landschaft meiner Niederlagen
    gehe ich in meinen alten Tagen:
    Abends ist es am schlimmsten. Das Streiflicht
    der nur langsam untergehenden Sonne
    modelliert die fernen gefalteten Berge,
    die nahen gespaltenen Steine, kurz alles,
    was sich ihm in den Weg stellt.
    Abends war es am schönsten. Den Lichtstreif
    der untergehenden Junisonne
    für immer festzuhalten, verbrachte
    ich Stunden um Stunden vor Leinwand und Landschaft,
    ein Weg ohne Ende.
    Abends war er am stärksten, der Eindruck,
    diesmal den treffendsten Ausdruck zu finden
    fürs glorreiche Ineinander der Lichter,
    der Schatten, der Dinge, der Farben: Du bist
    auf dem richtigen Wege!
    Abends ist sie am stärksten, die Einsicht:
    Du warst deiner Aufgabe niemals gewachsen.
    Immer noch flüchtig das Licht. Nur ein Schatten
    davon auf deiner Leinwand zu ahnen,
    kein Weg, eine Sackgasse.
    Abends ist es am schönsten. Der Streifzug
    rund um den Hügel von Montaio
    berückt und verzückt und beglückt wie damals.
    Verrückter

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