Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
warst du vor Jahr und Tag
blätter- und früchtevoll
makel- und fehlerlos
War das ein September!
Nun dieser verhärmte
kummer- und jammervoll:
Schwer, dich gerade jetzt im Stich zu lassen!
Du bleibst da, und dein Blick verklärt sich:
Tapfre Toscana!
Hier hats ja noch Blätter
Da schwelln ja noch Trauben
Dort grünt ja ein Hang noch
Wie er wohl endet,
der Monat? Nicht glanz-
aber stilvoll?
Das wenigstens sollte man ja wohl noch abwarten können!
Du reist ab, und dein Blick umflort sich:
Cara Toscana!
Die Bäume so blattlos
Die Trauben so saftlos
Die Hänge so farblos
Und das im September!
Doch alte Liebe
rostet nicht!
Oder liebt da ein rostender Alter?
Toscana, 2002
Zypressen muß ich nicht haben.
Nicht welche, die sichtbar vergehen.
Was stehen die in der Landschaft rum?
Das Vergehen muß ich nicht sehen.
Das zieht sich ganz schön, dieses Sterben.
Das ist eine Sache von Jahren.
Weshalb die so langsam den Bach runtergehn?
So genau muß ich das nicht erfahren.
Zypressen muß ich nicht sehen.
Was nicht da ist, kann keiner vermissen.
Warum mich das alles so total nervt?
All das muß ich wirklich nicht wissen.
Grosses Montaiesermittags-
verweigerungsgedicht
vom 30 . Mai 2002
Wenn ich mich aufsetzte,
was ich nicht tue -
Alter Mann ist kein D-Zug,
er braucht seine Ruhe – :
Wenn ich mich aufrichtete,
was ich nicht mache -
Warum nicht? Das tut hier
bei Gott nichts zur Sache – :
Wenn ich jetzt aufstände,
was ich schön lasse -
Mir ist, als ob Aufstehn
nicht recht zu mir passe – :
Wenn ich das täte, wovon ich gesprochen:
Ich sähe die schönste Toscana seit Wochen.
Wiedersehn und Abschied
am 27 . Juni 2004
Es tut mir in der Seele weh,
wenn ich dich seh, Badía See.
Einst warst du rings von Wald umsäumt,
im Schilf versteckt, im Grün verträumt.
Heut liegt dein Ufer bloß und nackt.
Da haben Menschen zugepackt.
Einst warst du voll Gesumm, Gesang,
Getier, Gefrosch, Gelurch, Geschlang.
Heut summt nichts mehr, heut fliegt nichts mehr.
Dank Menschen bist du tiereleer.
Einst sprang ich nackt in dich hinein:
Hier war ich Mensch, hier durft ichs sein.
Heut lohnts nicht mehr, sich auszuziehn.
Wo Menschen wüten, muß Mensch fliehn.
Einst schlug mein Herz, wenn ich dich sah.
Heut geht mir deine Nacktheit nah.
Grad, daß mich keine Träne näßt.
Wir Menschen sind schon eine Pest.
Von zweierlei Schweinen
Stachelschweine fräßen seine Ernten,
seien jede Nacht gewaltig tätig,
dennoch sehe er sich außerstande,
diese Räuber einfach zu erschlagen,
seit er einmal eines dieser Tiere
angefahren aufgefunden habe,
bereits tot, mit ausgestreckten Ärmchen,
die in kleinen Händchen ausgelaufen seien,
regelrechten Kinderhändchen, Babyhändchen,
derart menschlich, daß schon der Gedanke,
solch ein zartes, handbegabtes Wesen
zu erschlagen, ihm wie Frevel schiene…
Seinen Blick auf seine Hände senkend,
achtzigjährig, doch auch die warn einmal
Kinderhändchen, schwieg Danilo lange,
um dann unversöhnlich fortzufahren:
Anders läg der Fall bei wilden Schweinen,
die sich gleich den Stachelschweinen unterständen,
Nacht für Nacht auf seinem Feld zu wildern.
Kinderhändchenlos, dafür voll Hufen,
hätten sie's sich selber zuzuschreiben,
wenn der Mensch sie ohne Gnade tilge…
Seine Hände wie zu Hufen ballend
hielt Danilo ein, worauf ein Grunzen,
schweinemäßig, das in Greisenlachen
überging, die Morgenstille sprengte.
Rückblick, Einsicht, Ausblick
Durch die Landschaft meiner Niederlagen
gehe ich in meinen alten Tagen:
Abends ist es am schlimmsten. Das Streiflicht
der nur langsam untergehenden Sonne
modelliert die fernen gefalteten Berge,
die nahen gespaltenen Steine, kurz alles,
was sich ihm in den Weg stellt.
Abends war es am schönsten. Den Lichtstreif
der untergehenden Junisonne
für immer festzuhalten, verbrachte
ich Stunden um Stunden vor Leinwand und Landschaft,
ein Weg ohne Ende.
Abends war er am stärksten, der Eindruck,
diesmal den treffendsten Ausdruck zu finden
fürs glorreiche Ineinander der Lichter,
der Schatten, der Dinge, der Farben: Du bist
auf dem richtigen Wege!
Abends ist sie am stärksten, die Einsicht:
Du warst deiner Aufgabe niemals gewachsen.
Immer noch flüchtig das Licht. Nur ein Schatten
davon auf deiner Leinwand zu ahnen,
kein Weg, eine Sackgasse.
Abends ist es am schönsten. Der Streifzug
rund um den Hügel von Montaio
berückt und verzückt und beglückt wie damals.
Verrückter
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