Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
ging einzig darauf, daß die Menschheit voll
Furcht war.
Damit sie sich in größtmöglicher Zahl fürchtete, wollte er sie
fruchtbar.
Worauf all der Menschen nie endenwollende Gottesfurcht die
Frucht war.
Liebe und Tod
- Sag, wie hältst du's mit der Liebe?
- Gott, wie soll ich's mit ihr halten?
Fürchte, sie ist am Veralten,
am Verblühen, am Erkalten:
Oder altern meine Triebe?
- Sag wie hältst du's mit dem Tode?
- Gut, mich dazu zu befragen.
Hab ihn stets in mir getragen,
kann heut mit Bestimmtheit sagen:
Der kommt niemals aus der Mode.
Vom Gewicht
Trägst den Tod in dir?
Trägst schwer.
Tod ist nicht irgendwer:
Wiegt.
Stirbst wie nur je ein Tier?
Nimms leicht.
Tod wird durch nichts erweicht:
Siegt.
Abschied
Ich könnte mir vorstelln,
mich so zu empfehlen:
Die Zeit. Ich will sie euch
nicht länger stehlen.
Den Raum. Ich will ihn euch
nicht länger rauben.
Den Stuß. Ich will ihn euch
nicht länger glauben.
Das Ohr. Ich will es euch
nicht länger leihen.
Das Aug. Ich will es euch
nicht länger weihen.
Das Hirn. Ich will es euch
nicht länger mieten.
Die Stirn. Ich will sie euch
nicht länger bieten.
Das Herz. Ich will es euch
nicht länger borgen.
Den Rest? Den müßt ihr
schon selber entsorgen.
Natürlich
Natürlich ist mir auch manchmal zum Weinen
Natürlich weine ich manchmal auch
Ich wein
Weil: Plötzlich fällt mirs Lieben ein
Ich wein
Weil: Plötzlich fällt mirs Loben ein
Ich wein
Weil: Plötzlich fällt mirs Laben ein
Ich wein
Weil: Plötzlich fällt mirs Leben ein
Ich wein
Weil: Plötzlich fällt mir früher ein
Früher.
Warnung
Sollte dich das nicht mehr anmachen,
mein Freund:
Das Wiegen der Hüften
der Weiber beim Gehen
Das Schimmern der Rücken
der Schönen beim Stehen
Das Glänzen der Bäuche
der Gören beim Drehen -
Sollte dir das nichts mehr ausmachen,
das meint:
Weder Gören, noch Schöne, noch Weiber
sind dir vorerst nichts als Leiber,
sprich: Blüte, damit sich die Biene,
sprich: du, sich ihrer bediene -
Dann wird er dir bald den Garaus machen,
der Feind,
der eines beherrscht: Das Auslachen
all derer, die sich nichts mehr anlachen.
Michaela am heissesten Tag des Jahres
Ich hatte gar nicht mit ihr gerechnet,
doch pünktlich um zehn stand sie vor der Haustür.
Ich sag, daß wir kommen, und rufe Bella,
die bricht sich treppab beinahe die Haxen.
Sie wittert den Jerry. Ich folge gelassen,
obwohl auch ich auf das Treffen gespannt bin.
Nur noch paar Stufen, und ich erfahr es:
Was trägt
Michaela am heißesten Tag des Jahres?
Da steht sie in langen, weißen Hosen.
Darüber ein T-Shirt, nabelfrei, blau.
Auf dem Kopf eine ebenfalls weiße Kappe,
beschriftet mit »Reebok«. »Du machst ja Reklame!«
sag ich und erfahre: »Das ist ein Geschenk
von Andres Mutter.« »Andre?« »Na, mein Freund.«
»Der Typ, dem du zweimal eine geschallert?«
Alles still. Nur von ferne Gezänk eines Stares.
Was denkt
Michaela am heißesten Tag des Jahres?
Sie denkt nicht, sie klagt. Sie sei unausgeschlafen
vom Streit gestern Abend mit ihrer Mutter.
Die habe gesagt, sie verblöde langsam.
»Was ja auch stimmt. Ich sollte mehr lesen.
Aber jetzt, wo's so heiß ist – Jerry bei Fuß!
Sehn Sie den Dackel? Ich nicht, ohne Brille.
Das ist nicht mein Tag. Ich hab meine Tägchen.
Sie als Mann habens leicht. Daran ist was Wahres»–:
So schwatzt
Michaela am heißesten Tag des Jahres.
Wir schlagen den üblichen Weg ein. Die Hunde,
sonst lärmend und kregel, folgen uns lustlos.
Sie wolle ja lesen, sie werde auch lesen.
Sie habe bereits ein Buch im picture:
»›Die Wüstenblume‹, das werd ich mir ausleihn,
da geht's um ein afrikanisches Model,
das wurde beschnitten und vergewaltigt« -
Und sie zieht genervt am Blond ihres Haares -
Was fühlt
Michaela am heißesten Tag des Jahres?
Das bleibt ihr Geheimnis. Wir schlendern schweigend
und machen früh kehrt, da sie tonlos hervorbringt,
sie sei unheimlich müde. Ich mime Verständnis
und male mir aus, wie es wär, dieser Krabbe
ausgeliefert zu sein. Jäher Schauder
mildert das Leuchten des Körpers in Blüte,
dimmt zumindest ein wenig den Glanz
seiner grade mal fünfzehn Jahre. Das war es:
Das war
Lolita am heißesten Tag des Jahres.
Entscheidung zur Entkleidung
Eine gewisse Vertrautheit ging
einher mit jenem Befremden,
das zwei Menschen immer dann befällt,
wenn sie sich erstmals enthemden.
Man hat wohl geahnt, was Sache ist,
doch konnt' man sie so oder
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