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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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daß ich durch und durcher fall.
    Erst aus der Welt. Wann aus dem All?
    Nu
    Nu liegste wieder flach
    Nu liegste wieder wach
    Nu fragste wieder: Warum ich?
    Und hörst als Antwort: Wieso nich?
    Nu ist dir alles fad
    Nu haste den Salat
    Nu klagste wieder: Eß ich nich!
    Und weißt bereits: Sie frexen dich.
    Nu frißte in dich rein
    Nu fühlste dich ganz klein
    Nu fragste wieder: Ohne Scheiß -
    Ist Kranksein der Gesundung Preis?
    Vertikale Bestandsaufnahme
    während der xten Chemotherapie
    Meine Zehen: Gestorben.
    Von Oxaliplatin verdorben.
    Meine Därme: Gepeinigt.
    Von Wechselchemie gesteinigt.
    Meine Linie: Gebuchtet.
    Vom Narbenbruch ausgewuchtet.
    Meine Haare: Gerichtet.
    Von Irinotecan gelichtet.
    Meine Ganglien: Gefährdet.
    Vom Unten wird's Oben geerdet.
    Erbitux
    Als ich mich noch selber mochte,
    nicht grad liebte, aber doch
    mich in meiner Haut wohlfühlte,
    war der Haut auch wohl.
    Wenn ich jetzt darüber fahre,
    mag ich nicht, was ich da fühle:
    Haut, die rauh und ledern mitteilt,
    ihr sei spürbar unwohl.
    Es ist aus der Haut zu fahren.
    Wär da nicht die Einsicht, daß wir,
    Haut und ich, so gut wie eins sind,
    wohl oder übel.
    Blut, Scheiss und Tränen
    Oben blut ich, unten scheiß ich.
    Blut und Scheiße treten derart
    haltlos mir aus Nase, After,
    daß nun auch noch Tränen fließen:
    Was verlaßt ihr meinen Körper?
    Warum, Scheiße, diese Eile?
    War ich, Blut, dir keine Heimstatt?
    Weshalb, Träne, dein Gefließe?
    Oder seid ihr etwa nichts als Ratten,
    die das Schiff, das sie beherbergt,
    flugs verlassen, eh der Dampfer
    mit dem Rest der Stammbesatzung
    absäuft?
    Nicht eigentlich
    Das nennt man nicht eigentlich schlafen,
    wenn man stundenlang wach ist.
    Das nennt man nicht eigentlich Tiefe,
    wenn das Gedachte nur flach ist.
    Das nennt man nicht eigentlich Händel,
    wenn die Kantate von Bach ist,
    Das nennt man nicht eigentlich jauchzen,
    wenn das letzte Wort »Ach« ist.
    Worte, Worte
    Wie schön das blühende Leben!
    Da kommt und da geht
    ein bezauberndes Wesen,
    neigt sich flüchtig zu dir,
    muß zurück zum Tresen:
    Daß es das gibt! Doch auch das wird sich geben.
    Wie schrecklich das welkende Sterben!
    Da liegt und da leidet
    der Freund auf dem Schragen,
    schließt bleich die Augen
    und verschließt sich den Fragen:
    Das gibt es bei Gott! Dies finale Verderben.
    Wie heillos das hilflose Hinsehn!
    Da stockt und da schweigt
    die Zunge vorm Leben
    grad wie vorm Sterben,
    gelähmt das Bestreben,
    festzuhalten, da doch alle dahingehn.
    Gedenken
    Nie werd ich den sterbenden Fritz vergessen.
    Er hatte uns zum Abschied gebeten,
    Pit und mich. So sahn wir dem steten
    Tod eine Weile beim Arbeiten zu.
    Noch lebte Fritz. Doch war das noch leben?
    Oft hatte er zeichnend den Tod beschworen,
    und immer hatte der, gezeichnet, verloren.
    Fritz und der Tod warn seit langem per Du.
    Nun also dieses letzte Duell.
    Pit und ich auf Zeit Sekundanten,
    Zeugen des Endens, die sehend erkannten:
    Tua res agitur.
    Unserer Mutter,
am 1 . August 2004
    Ein immer fremderer Mensch,
    unsere Mutter,
    auf immer engerem Weg,
    unsere Mutter,
    aus immer fernerer Welt,
    unsere Mutter,
    zu immer hellerem Stern:
    Unsere Mutter.
    Am Totenbett
    Als sie da lag, so wächsern starr
    Als ich da stand, so erleichtert
    Da fühlte ich mich jäh bereichert
    Weil sie, die Arme, nicht mehr war.
    Jetzt erst konnte Erinnern beginnen
    Jetzt erst war Zeit zum Trauern
    Jetzt erst war Schluß mit dem Bedauern
    Erst jetzt konnten Tränen rinnen.
    Totengedenken
    Das ist doch das Schöne an den Toten:
    Da ist so gut wie alles erlaubt und nichts verboten.
    Du kannst sie verhöhnen, du kannst sie beleidigen -
    Sie werden sich nicht dagegen verteidigen.
    Du kannst sie belästigen, du kannst sie verlassen -
    Sie werden dich nicht dafür hassen.
    Du kannst ihnen vorwerfen, sie übertrieben -
    Sie werden dich deshalb nicht weniger lieben.
    Du kannst sie foltern, du kannst sie quälen -
    Sie werden es niemandem weitererzählen.
    Du kannst sie verehren, du kannst sie verlachen -
    Sie werden deshalb kein Aufhebens machen.
    Du kannst sie salben, du kannst sie bespeien -
    Sie werden dir weiterhin alles verzeihen.
    Du kannst sie nach Strich und Faden betrügen -
    Sie werden sich jeder Missetat fügen.
    Du kannst sie erinnern, du kannst sie vergessen -
    Sie werden an anderen Ellen gemessen.
    Du kannst sie vergessen, du kannst sie erinnern -
    Bei diesen Gewinnern bleibst du der Verlierer.
    Vom Wissen ums Sterben
    Der sich das erdachte, war
    furchtbar.
    Sein Denken

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