Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
Vom Netzwerk:
Gedanke, das halten zu wollen,
    was nur Schein und dann weg ist:
    Durch die Landschaft meiner Niederlagen
    geh ich wie in alten Tagen.
    Krebsfahrerlied
ODER
Auf dem Weg zur Chemotherapie
im Klinikum Valdarno
ODER
Die Hoffnung stirbt zuletzt
    Durch die Auen,
    durch die Triften
    reise ich, mich zu vergiften.
    Winde säuseln,
    Strahlen blitzen,
    bald werd ich am Gifttropf sitzen.
    Hügel locken,
    Berge blauen,
    schon kann ich das Gifthaus schauen.
    Durch die Flure,
    durch die Weiten
    sieht man mich zum Giftraum schreiten,
    Um dort über
    viele Stunden
    an dem Gifte zu gesunden.
    Oder auch nicht.
    Aus dem Lieder- und Hader-
büchlein des Robert G.
    Schuldchoral I
    O Robert hoch in Schulden
    vor Gott und vor der Welt!
    Was mußt du noch erdulden,
    bevor dein – nein, nicht Gulden–,
    bevor dein Groschen fällt?
    Dein Groschen war einst golden,
    nun ist er eitel Blei.
    Und mit dem Kind, dem holden,
    dem Frühling und den Dolden
    ist es schon lang vorbei.
    Spiel also nicht den Helden,
    der noch auf Unschuld hält.
    Schuld muß der Mensch vergelden.
    Wann dürfen wir vermelden,
    daß auch dein Groschen fällt?
    Geh aus mein Herz
oder
Robert Gernhardt
liest Paul Gerhardt
während der Chemotherapie
    Geh aus mein Herz und suche Leid
    in dieser lieben Sommerszeit
    an deines Gottes Gaben.
    Schau an der schönen Gifte Zier
    und siehe, wie sie hier und mir
    sich aufgereihet haben.
    Die Bäume stehen voller Laub.
    Noch bin ich Fleisch, wann werd ich Staub?
    Ein Bett ist meine Bleibe.
    Oxaliplatin, Navoban,
    die schauen mich erwartend an:
    Dem rücken wir zuleibe.
    Die Lerche schwingt sich in die Luft.
    Der Kranke bleibt in seiner Kluft
    und zählt die dunklen Stunden.
    Die hochbezahlte Medizin
    tropft aus der Flasch' und rinnt in ihn.
    Im Licht gehn die Gesunden.
    Die Glucke führt ihr Völkchen aus.
    Der Mensch verfällt im Krankenhaus
    ganz lärmbedingtem Grimme.
    Des Baggers Biß, der Säge Zahn,
    die hören sich viel lauter an
    als jede Vogelstimme.
    Die Bächlein rauschen durch den Sand.
    Wie gern säß ich an ihrem Strand
    voll schattenreicher Myrten.
    Die Wirklichkeit liegt hart dabei.
    Sie ist erfüllt vom Wehgeschrei
    der Kranken und Verwirrten.
    Die unverdroßne Bienenschar
    nimmt summend ihren Auftrag wahr
    und nascht an jeder Blüte.
    Mir brummt der Kopf, mir taubt die Hand,
    statt süßem Duft füllt wüster Sand
    mir Seele und Gemüte.
    Der Weizen wächset mit Gewalt.
    Ich aber fühl mich dürr und alt,
    das Weh verschlägt mirs Loben
    des, der so überflüssig labt
    und mit so manchem Gut begabt:
    Des hohen Herrn da oben.
    Ich selber möchte nichts als ruhn.
    Des großen Gottes großes Tun
    ist für mich schlicht Getue.
    Ich schweige still, wo alles singt
    und lasse ihn, da Zorn nichts bringt,
    nun meinerseits in Ruhe.
    Von Fall zu Fall
    Herrgott! Ich fiel aus deiner Hand
    grad in des Teufels Krallen.
    Doch hör! Der kleine Unterschied
    ist mir nicht aufgefallen.
    Frage und Antwort
    »Warum muß das alles sein?«
    Wer so fragt? Das arme Schwein.
    Was das kluge Schwein erwidert?
    »Robert, wirst halt ausgegliedert.«
    Trotz
    Robert, ach du Armerchen,
    dein Gott ist kein Erbarmerchen,
    dein Gott ist eine Geißel.
    Drum, Robert, stell den Jammer ein.
    Dein Gott will dir ein Hammer sein?
    Dann sei ihm, Robert, Meißel.
    Schuldchoral II
    O Robert hoch in Schulden
    Vor Gott und vor der Welt,
    Was mußt du noch erdulden,
    Bevor dein Groschen fällt?
    Durch Speien und durch Kotzen,
    Läßt der sich nichts abtrotzen,
    Der auch dein Feld bestellt.
    Dein Feld trägt lauter Dornen
    Und Disteln ohne End.
    Wie um dich anzuspornen:
    Du hast genug geflennt.
    Beim Rupfen und beim Jäten
    Läßt der wohl mit sich reden,
    Den man den Vater nennt.
    Dein Vater starb im Morden,
    Da warst du noch ein Kind.
    So bist du nicht geworden,
    Wie andre Menschen sind.
    Und mußt dich doch ergeben,
    Du hast nur dieses Leben.
    Mach also nicht so 'n Wind.
    Dialog
    - Gut schaust du aus!
    - Danke! Werds meinem
    Krebs weitersagen.
    Wird ihn ärgern.
    Lob der Krankheit
    Droht einer mit der Zeit
    normal zu versauern,
    hilft eine Krankheit ihm,
    nicht zu verbauern.
    Krankheit macht hellhörig.
    Läßt tiefer blicken.
    Wer am Verschlanken ist,
    kann nicht verdicken.
    Ist einer dünnhäutig,
    lernt er verstehen,
    wie klein der Schritt ist vom
    Er- zum Vergehen.
    Finger weg
    Nach dem Befund: »'s liegt Darmkrebs vor«
    leckt keiner sich die Finger.
    Auch Lebermetastasen sind
    nicht grad der Riesenbringer.
    Mein Freund, wenn du die beiden

Weitere Kostenlose Bücher