Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Lektüre von reichlich Allert-Wiebranitz und zuviel Erich Fried entstanden die Verse während eines Wien-Aufenthalts, wacker gefördert von österreichischen Weinen und tapfer sekundiert von meiner Begleiterin und Lebensgefährtin Fräulein Gehebe. All meine Pläne scheiterten am »Nein« des Lucie Körner Verlages, dem ich die Proben zugeschickt hatte; nicht einmal das Umweltpapier, auf das ich die Verse getippt, nicht einmal das herzliche »Hallo!«, das meinen Brief eingeleitet hatte, vermochten es, die Herzen der VerlegerInnen zu gewinnen: Mit der Bitte, das nächste Mal Rückporto beizulegen, erhielt ich meine Werke zurück und verzichtete erleichtert auf eine Fortsetzung.
1990 war mein erster Versuch mißglückt, durch Gedichte reich und berühmt zu werden, doch am 16. Dezember 1994 erhob die Versuchung abermals ihr Haupt. Am Vormittag dieses Tages erreichte mich ein Anruf von Dana Horakova, verantwortlich für den Kulturteil der ›Bild‹-Zeitung. Ja, den gibt es, und Frau Horakova rief nicht aufs Geratewohl an, sie wollte den Dichter Gernhardt sprechen: Sie habe sich unlängst in einem ›Bild‹-
Beitrag zur Tatsache geäußert, daß die deutschen Dichter der Gegenwart den Reim verschmähten – wenn sie ihn denn überhaupt beherrschten–, worauf die ›Bild‹-Leserschaft in einen wahren Reim-Rausch versetzt worden sei. In den letzten ›Bild‹-Ausgaben seien fortlaufend Leser-Gedichte abgedruckt worden, nun habe sie von Lutz Hagestedt, dem Pressechef des Suhrkamp Verlages, erfahren, daß es im heutigen deutschen Sprachraum zumindest einen des Reimens mächtigen Dichter gebe, mich: ob ich nicht für ›Bild‹ zum Abschluß der Reim-Abdrucke ein selbstredend gereimtes Gedicht über den ganzen Vorgang verfassen könne?
»Tja… Im Moment bin ich sehr im Druck«, druckste ich.
»Wir werden auch auf Ihren neuen Gedichtband hinweisen«, lockte Frau Horakova.
»Auf die Schnelle werde ich nichts liefern können«, bremste ich.
»Aber Sie haben doch viel Zeit«, beschwichtigte Frau Horakova.
»Wieviel?«
»Jetzt ist es Elf… bis 16 Uhr!«
»Das schaffe ich nie!«
»Dann bis 17 Uhr – abgemacht?«
Ich reagierte ausweichend, doch als ich dann zur Mittagszeit eine halbe Stunde lang in der Bank warten mußte, verfaßte ich jene Strophen, die am darauffolgenden Tage, dem 17. Dezember 1994, im Rahmen von »Danas Kulturstück« folgendermaßen annonciert wurden:
Liebe BILD-Dichterinnen, liebe BILD-Dichter
Heute eine Überraschung: Robert Gernhardt (57) ist einer der bedeutendsten deutschen Dichter, der Meister des Wort-Witzes; seine Verse druckt die FAZ, für Otto erfindet er Pointen. Nun hat er für BILD gereimt! Wenn das kein Kompliment für alle Hobby-Dichter ist!
Von Robert Gernhardt für BILD-Leser:
Der deutsche Dichter reimt nicht mehr -
so stand es jüngst in BILD.
Da griff das Volk zur Schreibfeder
und dichtete wie wild.
Schier 23tausendmal
kam Post in diesen Tagen
Durchweg gereimt: Was will die Zahl
dem Freund der Dichtkunst sagen?
Was immer deutsche Dichter schreim,
davon stürzt das Gedicht nicht eim.
Lieb Vaterland magst ruhig bleim -
fest steht und treu die Wacht am Reim.
Dem folgten der versprochene Hinweis auf den letzten Gedichtband, »Gedichte aus zehn Jahren, wunderschön!«, sowie weitere Reim-Proben der ›Bild‹-Leser:
Meine Seele ist in Not,
wenn ich an Deutschland denke.
Für alle gibt's zwar reichlich Brot,
doch neues Unrecht füllet Bände
Fehlte nur noch das telefonisch leider nicht gestreifte Honorar. Worin würde es bestehen? Aus einer demantenen Schale, aus einer güldenen Kette oder lediglich aus einer silbernen Petschaft?
Aus einem Blumenstrauß, der noch am Abend dieses denkwürdigen Dezembertages eintraf; ganz im Sinne des Ministers und Meisterreimers Goethe, der in seinem Gedicht »Der Sänger« den alten Dichter materiellen Gewinn ausschlagen läßt – »Die goldne Kette gib mir nicht«–, um sich sodann seinem Zuhörer, Bewunderer und König als bereits reich Belohnten zu offenbaren:
Ich singe wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet;
Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Ist Lohn, der reichlich lohnet -
Eine Auffassung, die offenbar Schule gemacht hat und auch von Horst Gutwasser aus 04157 Leipzig geteilt wird, der am gleichen Tage wie ich in ›Bild‹ zu Wort kam:
Der Drang nach Reichtum lohnt mitnichten,
das Glück verweht oft wie der Wind,
Zufriedenheit kommt durch Verzichten
auf Dinge, die nicht nötig sind.
Dafür
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