Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Käufer kommen ja auch so.
Nach einem ausgedehnten Stadtrundgang, der auch am Friedhof und der ihm benachbarten Firma Hugo Boss vorbeiführte, stellt sich mal wieder die leidige Frage: Was stört mich eigentlich an solch unverstellter Häßlichkeit? Warum nehme ich sie geradezu persönlich? Ich bin doch nur auf der Durchreise hier und werde nach menschlichem Ermessen nicht wieder herkommen. Weshalb meine Anteilnahme?
Vielleicht deswegen: Weil Menschen einander so etwas nicht antun sollten. Das wäre dann eine Stellvertreter-Empörung, geradezu ein Mitleiden. Aber habe ich denn Mitleid mit den Metzingern? Haben sie es überhaupt verdient? Sehen sie nicht allesamt so aus, als litten sie selber kein bißchen? Haben sie ihr Metzingen nicht selbst so gewollt und vorangetrieben – oder das, was dazu geführt hat, daß ihre Stadt so aussieht, wie sie aussieht, zumindest billigend in Kauf genommen? Richtiger ist wohl die Erklärung, daß ich in dem, was Menschen aus Metzingen gemacht haben, eine gegen mich gerichtete Bedrohung sehe, und daß diese Tatsache mich empört: Wenn die das mit sich und anderen machen zu können glauben – was sollte sie davon abhalten, mir das ebenfalls anzutun? (Tun sie natürlich auch dauernd.) Und selbst wenn sie lediglich ihre eigenen Städte häßlich und ihre eigene Umwelt kaputtmachen, verringern sie an einem Tag wie diesem meine Genußmöglichkeiten, trüben sie einen kostbaren Nachmittag lang meine Lebensfreude – würde ich sonst diese Zeilen zu Papier bringen? Und wahr bleibt natürlich auch, daß der, der es besser weiß, die verdammte Pflicht hat, die Unwissenden zu bilden und zu belehren und für sie stellvertretend zu räsonnieren. Weshalb er Kitsch, Konsumschrecken und Zerstörung nicht hinnehmen darf, selbst dann, wenn die, für deren Interessen er eintritt, gar nicht merken, mit welchem Schwindel sie abgespeist werden, ja, den sogar goutieren. Dann erst recht ist der Besserwisser aufgefordert, anderen den Kopf zurechtzurücken, wenn es sein muß, mit Gewalt: Wer sich im Besitz der Wahrheit weiß, ist auch dazu verpflichtet, ihr gegen jeden Widerstand zum Sieg zu verhelfen.
Gegeben im Schwanen zu Metzingen, an der Umgehungsstraße Ulm(?)-Stuttgart, auf welcher der Verkehr pausenlos dahinbraust (und mich den Schlaf kosten wird), in einer Gaststube, die exemplarisch den Rustikalkitsch der 70er vorführt: viel dunkelgebeiztes Holz und viel schlimm Schmiedeeisernes: Auch das haben Menschen Menschen angetan.
Ende des räsonnierenden Teils, denn unmittelbar auf diese so zornigen wie mahnenden Zeilen folgt der dialektische und qualitative Umschlag: Ohne weiteres Nachdenken und ohne nennenswerte Korrekturen verfaßte ich auf den beiden anschließenden Seiten des Notizheftes den vorerst unbetitelten Achtzeiler.
Im Jahr darauf, 1985, wurde das Gedicht erstmals veröffentlicht. Unter der Überschrift »Nachdem er durch Metzingen gegangen war« konnte man es am 12. Januar auf der Feuilletonseite der ›FAZ‹ lesen, und es wurde gelesen. Viel Post aus Metzingen erreichte mich in den folgenden Wochen, es schrieben mir u.a. der Oberbürgermeister, der Präsident der Handwerkskammer, der Leiter des Verschönerungsvereins, der Landrat, es schrieben Bürger der Stadt und Schüler der Hindenburgschule, und alle fragten als erstes: Ist wirklich unser Metzingen gemeint? Und als zweites: Warum gerade wir?
Ich antwortete mit gebotener Ehrlichkeit, und da weitere Anfragen ausblieben, glaubte ich den ganzen Vorgang als weiteren Beleg für die Folgenlosigkeit von Literatur abbuchen zu können, da, im Jahre 1991, schickte mir der aufmerksame Helmut Schenkel eine Anzeige zu, die er in der Septembernummer des »Deutschen Architektenblatts« gefunden hatte:
Sie haben gute Ideen?
fragte da die Stadt Metzingen und gab an, sie suche
eine(n) Diplom-Ingenieur(in) (FH)
der Fachrichtung Hochbau und Städtebau u.a. für die Aufgabe
Mitarbeit bei der Stadtsanierung
»Spätfolgen der Dichtung« hatte der Einsender an den Rand der Anzeige geschrieben – schön wär's. Noch schöner freilich wäre ein nicht nur saniertes, sondern geradezu gesundetes Metzingen, eines, auf dessen Anblick ein heutiger Flaneur mit den Zeilen reagieren könnte:
Dich will ich loben: Städtisches,
du hast so was Ästhetisches…
Die Florian-Freyer-Gedichte – Diese elf Gedichte sollten nur ein Anfang sein: der eines Gedichtbandes, der meines Reichtums und der des Ruhms meines alter ego Florian Freyer. Nach der
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