Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
überhaupt was zum Lachen gibt. Denn da, wo man lacht, bin ich gern dabei. Warum also nicht auch bei der Kin-Preisverleihung?«
Über den Widerstand
Der Schriftsteller He-hei hielt es für verwerflich, Literaturpreise anzunehmen, während sein Kollege Ge-ga nichts dabei fand.
»Indem du dich mit dem Literaturbetrieb gemein machst, stärkst du ihn«, sagte He-hei.
»Indem ich ihm Geld entziehe, schwäche ich ihn«, hielt Ge-ga entgegen.
»Indem du einen Preis annimmst, gibst du zu verstehen, welches dein Preis ist«, fügte He-hei hinzu.
»Indem ich jedweden Preis annehme, ganz gleich, wie hoch er dotiert ist, signalisiere ich, wie gleichgültig mir der jeweilige Preis und das mit ihm verbundene Geld sind«, erwiderte Ge-ga.
»Indem du es zuläßt, daß dein guter Name mit so etwas Fragwürdigem in Verbindung gebracht werden darf, wie es ein Preis ist, schwächst du bei jenen Jüngeren, die zu dir aufblicken, den Sinn für Richtig und Falsch und damit ihren Widerstand gegen den Literaturbetrieb», mahnte He-hei.
»Indem ich ein schlechtes Beispiel gebe, schwäche ich lediglich ihre Bereitschaft, zu jemandem aufzublicken«, versetzte Ge-ga. »Damit aber stärke ich ihren Eigensinn, die wichtigste Voraussetzung dafür, jedwedem Betrieb Widerstand entgegenzusetzen.«
Über die Ausbeutung
Als die Nachricht, er habe den Kin-Preis erhalten, sich herumsprach, begegnete Ge-ga einer Bekannten, die ihn zur Rede stellte: »Findest du eigentlich nichts dabei, einen Preis anzunehmen, dessen Namensgeber des vielfachen geistigen Diebstahls sowie der intellektuellen und materiellen Ausbeutung ihm emotional verfallener Frauen überführt ist?«
»Kin war sicher kein Heiliger«, räumte Ge-ga ein. »Aber erstens hat er aus seiner Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums nie einen Hehl gemacht. Zweitens hat er den ihm verfallenen Frauen eine Weisheit abverlangt, die sie ohne seinen Hebammendienst vermutlich nie an den Tag gelegt hätten. Und drittens stelle ich es mir riesig vor, wenn einem dieselbe Maus, die man nachts gebürstelt hat, tags drauf kein Drama macht, wenn man weitere Mausis anschleppt, sondern einem, im Verein mit ihnen, ein Drama schreibt. Und wenn das Kind eines solchen Autorenkollektivs denn unbedingt einen Namen haben muß – warum soll es nicht den dessen tragen, der das ganze Mausirudel zusammengeführt und Nacht und Tag bei Laune gehalten hat, weshalb« – doch bemerkend, daß seine Gesprächspartnerin längst das Weite gesucht hatte, bequemte sich Ge-ga zu schweigen.
Über die Kritik
Schon im Vorfeld des hundertsten Geburtstags des Dichters Kin erhob sich ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald, aus welchem kritische Untertöne nicht zu überhören waren: Kin, der große Ankläger der Ausbeuter, habe selber seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgebeutet. Kin, der leidenschaftliche Freund der Freundlichkeit, habe an seinen Mitmenschen wenig freundlich gehandelt. Kin, der Aufrührer, habe seine Anfänge verraten und sich am Lebensende als staatstragender Dichter feiern lassen.
Aus all dieser Kritik schloß Ge-ga jedoch nicht auf ein Versagen Kins, sondern auf dessen Verdienste: »Wer Zeit seines Lebens damit zugebracht hat, auf Widersprüche hinzuweisen, hat es verdient, daß man seine Methoden nach erfolgtem Ableben auf dieses Leben anwendet. Wer, als er heranwuchs, die Größen seiner Zeit kritisiert hat, wird es als Lob empfinden, daß er, groß geworden, selber kritisiert wird. Wer die Herrschaft des Menschen über den Menschen abschaffen wollte, kann nur zustimmen, wenn auch seiner eigenen Herrschaft der Prozeß gemacht wird.«
Ob er denn wirklich glaube, Kin würde, lebte er noch, dazu in der Lage sein, seinen Kritikern gegenüber eine derart abgeklärte Haltung an den Tag zu legen, wurde Ge-ga gefragt.
»Vermutlich würde er sich mopsen«, räumte der ein. »Möglicherweise würde er sich jede Kritik verbitten und den Rotzlöffeln raten, es erstmal besser zu machen. Und hätte er nicht recht? Kritisieren ist leicht. Kritisieren kann jeder!«
Aber er habe doch ebenfalls hier und da den Kin kritisiert, wurde Ge-ga entgegengehalten.
»Natürlich habe ich das«, versetzte der. »Was lediglich belegt, wie leicht das Kritisieren ist. Wenn schon ich das kann!«
Über Kunst und Leben
Je höher die Wellen zu Kins hundertstem Geburtstag schlugen, desto tiefer das Tal, in welches ihn so manche Feder zu stürzen suchte. Am freundlichsten meinten es noch jene mit Kin, die lediglich seinen
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