Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
der Reitersmann nun, und das Gespräch mit der Frau läuft folgendermaßen:
Von dahinten, sagt er, und sie fragt: Übern See?
So gesehn führt kein andrer Weg von A nach B.
Logik stimmt, Klappe zu – doch was wäre die Folge gewesen, wenn ich nicht selber meinen Irrtum erkannt hätte? Dann hätte sich möglicherweise in irgendwelchen hundert Jahren irgendein Besserwisser seine Gedanken dazu gemacht: »Zwei Seelen wohnen, ach« – und das muß ja nun wirklich nicht sein. Daher habe ich persönlich nichts dagegen, wenn heutige Besserwisser meine Gedichte mit dem Korrigierstift lesen, ich bitte sogar darum: Zweckdienliche Hinweise nimmt jedes bessere Literaturbüro entgegen.
Am 15. Mai 1996 wurde mir nach einem – vermeintlichen – Routine-EKG empfohlen, so schnell wie möglich eine Klinik aufzusuchen, da eine Herzoperation höchstwahrscheinlich nicht zu vermeiden sei. Der Eingriff fand am 10. Juni statt, am 26. Juni wurde ich entlassen. Kurz nach der Einlieferung bereits begann ich damit, eine Art Tagebuch zu führen, wobei ich mich durchgehend einer einzigen Mitteilungsform bediente, einer siebenzeiligen, reimlosen Strophe, deren erste sechs Zeilen zweihebig sind, während bei der letzten drei und vier Hebungen wechseln können. Ich schrieb die Strophen meist vor Ort nieder, aus etwa hundertunddreißig solcher Eintragungen habe ich hundert für diesen Zyklus ausgesucht.
Gedichte aus Klappaltar - Die Buchausgabe des Klappaltar besteht aus drei Teilen: Den linken Heine-Flügel und den rechten Goethe-Flügel verbindet ein Prosa-Scharnier, das einen der vielen Tonfälle Bertolt Brechts zu Zwecken einer Hommage nutzt. Was mich zu Heine, Goethe und Brecht das Wort ergreifen ließ, ist im Nachwort des Klappaltar nachzulesen:
Bibliographische Notiz
Dieses Buch ist ein Bankert von Zufall und Schicksal; es verdankt sich drei Anlässen und zwei Anfällen.
Der Zufall hat es gewollt, daß drei große deutsche Dichter als runde Geburtstagskinder den Ausgang vom Jahrhundert, ja Jahrtausend spalieren: 1997 Heinrich Heine (200. Geburtstag), 1998 Bertolt Brecht (100. Geburtstag) und 1999 Johann Wolfgang Goethe (250. Geburtstag); das Schicksal hat es so gefügt, daß alle drei in einem einzigen Jahr, 1997, meine Lebens- und Schreibbahn qua Anfall und Anfrage gekreuzt haben.
Die Anfälle betrafen Heine und Goethe. Sie ereilten mich im Juni resp. September und waren teils exogenen, teils endogenen Ursprungs.
Im Mai besagten Jahres hatte Thomas Steinfeld, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , bei mir angefragt, ob ich nicht einen Beitrag zu Heines Geburtstag am 13. Dezember schreiben wolle, und ich hatte vorschnell abgewinkt: Ich sei in Heine nicht gut.
Besann mich aber tags darauf aus zwei Gründen: Erstens glaubte ich etwas Triftiges über Heines Witz und dessen Haltbarkeit in Erfahrung bringen zu können, und zweitens feierte auch ich am 13. Dezember einen runden Geburtstag. War das nicht der gegebene Anlaß, als scharfsinniger Heine-Exeget Flagge zu zeigen? Doch es sollte anders kommen.
Die aufmerksame Redaktion hatte mir als Appetizer vorab schon mal Heines sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge, Herausgegeben von Klaus Briegleb ins Haus geschickt; das Buch begleitete mich nach Montaio, meinen italienischen Arbeits- und Freizeitplatz. Kaum daß ich mit der Lektüre begonnen hatte, füllten derart insistierende Heine-Stimmen meinen Kopf, daß ich ihn nicht anders zu entleeren und mich ihrer nicht anders zu entledigen vermochte als dadurch, daß ich einen Monat lang in Heine-Zungen schrieb. Danach hatte ich das Buch durch, und es war wieder Ruhe im Karton. Am 13. Dezember des Jahres aber erschien zur Freude zumindest des einen der beiden Jubilare in der Samstagbeilage des Intelligenzblattes die aus Platzgründen etwas gekürzte, etwas andere Heine-Ehrung.
Der Goethe-Anfall verlief rascher und heftiger. Er ereilte mich abermals in Montaio, verursacht durch eine lange zurückliegende Infektion und nach einer langwierigen Inkubationszeit.
1981, in meiner Gedichtsammlung Wörtersee , hatte ich mich erstmals im gehobenen Goethe-Ton versucht:
Wenn sich, nachtbedingt erkaltet,
Wiesen morgendlich erwärmen
und der Herr die Dame faltet,
um zur Arbeit auszuschwärmen,
um sich lebend, lobend, labend
weltverloren zu erneuen -
Wird er liebend noch am Abend
die Entfaltete erfreuen.
Das Gedicht findet sich in der Abteilung Vorbild und Nachbild ; Vorbild war ohne Zweifel ein Gedicht des späten Goethe,
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