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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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jagst du mich fort in die finstere Nacht,
    so werd ich den Ort hier verfluchen!«
    »Und willst du das tun, so kannst du dies
    in Gottes Namen versuchen:
    Fluch, du Gauch!«
    Der Pförtner stund still und lächelte bös,
    der Spielmann sprach dunkle Worte,
    dann trat er stracks vor und reckte die Faust
    wohl drohend gegen die Pforte:
    »Far, du Stein!«
    Der Pförtner sah auf, dann hat er gelacht:
    »Der Stein ist ja noch in der Mauer!
    So wird's auch in tausend Jahren sein,
    der Spruch ist nämlich von Dauer. Und nun
    far, du Gauch!«
    1992
    Der Pförtner verging, und das Tor zerfiel,
    und der Stein verschwand im Museum.
    In Bergen aber rüstet man sich
    für ein seltsames Jubiläum.
    In der Stadt, da gibt es ein Stadtschreiberhaus,
    und das schon seit neunzehn Jahren.
    Da ist der Fluch des Spielmanns in
    die Bürgerhirne gefahren.
    Die Kunde, sie geht von Mund zu Mund:
    Es spukt an der Oberpforte!
    Dort wechseln sich Gauch und Gäuchin ab
    bei Spielen der finstersten Sorte:
    Da sieht man den Krolow koeppen ,
    da hört man den Rühmkorf born ,
    kühn fragt die Novak den Härtling :
    »Du trägst den Bichsel vorn?«
    »Ihr fallt mir auf den Becker !«
    schreit Kunert zornes roth .
    Vom Fels stürzt er köpf über,
    die Demski schlüg' er tot,
    wär' nicht die Hahn gekommen,
    hätt' sie ihn nicht gefragt:
    »Wer will denn gern hardt landen?«
    Schon hat sie ihn gepackt
    und trägt ihn mit Czechowski
    wohl in ein ander Land,
    weit über die lange Müller ,
    bis da ein Rothmann stand.
    Dem setzt sie ihn auf die Schulter:
    »Begrüß ihn nach altem Brauch!«
    Und der Gerettete spricht: »Als zehnter
    grüß' ich den neunzehnten Gauch!«
    Mitternacht! Neunzehn Gäuche
    halten zum Glockenschlag ein.
    Doch bänglich fragen die Bürger:
    »Wer mag wohl der zwanzigste sein?«
    »Das werdet ihr schon noch erfahren,
    im dreiundneunziger Jahr,
    Denn dann trifft euch erneut jener alte Fluch
    fürs vergessengeglaubte ›Far,
    du Gauch!‹«

Weiche Ziele
    1994
    I
    Zu Paaren
    Sehen und hören und fühlen
und denken
    Sieh, wie rasch sich Augen finden,
    Arme lockern, Finger binden.
    Hör, wie zart es Lippen treiben,
    Zungen spielen, Wangen reiben.
    Fühl, wie tief sich Menschen lieben,
    Schenkel spreizen, Knie schieben.
    Denk! wie hoch sie sich verschulden,
    Herzen brechen, Seelen dulden.
    Gelungener Abend
    Kommst du mit rein?
    Aufn Schluck Wein.
    Setzt du dich hin?
    Aufn Schluck Gin.
    Bleibst du noch hier?
    Aufn Schluck Bier.
    Gehn wir zur Ruh?
    Aufn Schluck Du.
    Schweigen und Freude
    Es ist viel Schweigen
    zwischen Männern und Frauen.
    Viel Fremdheit auch,
    wenn sie einander beschauen,
    und Kummer.
    Es eint viel Freude
    die, die sich lieben,
    Frauen und Männer. Sie
    lächeln und schieben
    noch eine Nummer.
    Die Vielfältige
    Sehr vielfältig bist du, Schöne, du hast:
    Zwei Beine, die einander sehr gleichen
    und beide bis zu dem Boden reichen:
    Du hast schöne Beine.
    Zwei Arme, einen an jeglicher Flanke.
    Sah ich je schmalere? Ich schwanke:
    Du hast schöne Arme.
    Zwei Brüste, jede mit Händen zu greifen,
    Pfirsichen gleich, die im Halbschatten reifen:
    Du hast schöne Brüste.
    Zwei Augen, beide sehr grün und sehr wach.
    Sie blicken so stark, und sie machen so schwach:
    Du hast schöne Augen.
    Zwei Männer, jeder an seinem Platz.
    Der nennt dich Liebling, und der ruft dich Schatz:
    Du hast schön dumme Männer.
    Verdrehter Kopf
    Das muß ich erst hinterfragen,
    sagt der Kopf
    Ich glaube, sagt die Liebe
    Das kann ich nicht so stehenlassen,
    sagt der Kopf
    Ich vertraue, sagt die Liebe
    Das wird mich Kopf und Kragen kosten,
    sagt der Kopf
    Ich liebe, sagt die Liebe
    Und wenn alle so dächten wie du?
    fragt der Kopf
    Komm, sagt die Liebe
    Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht,
    klagt der Kopf
    Am Arsch, sagt die Liebe.
    Zur Beherzigung
    Man soll nicht hängen
    sein Herz an Dinge,
    an Tiere nicht
    und nicht an Menschen.
    Durch die Zeit sinken sie
    wie Steine durchs Wasser.
    Weh dem, der sich ihnen
    verbunden.
    Das Herz ist ein Falke.
    Je freier, je höher
    reißt es empor
    aus dem Strudel der Zeiten,
    was es ergreift,
    ob Ding oder Wesen.
    Wohl dir, wenn dich eines
    mitreißt.
    Stadtnacht
    Mädchen, die zum Vögeln gehen
    Nicht, daß sie gevögelt würden
    Diese vögeln selber. Hürden
    Überspringen sie gleich Rehen
    Die dem Bock beweisen müssen
    Daß er ungleich mehr genösse
    Wenn er sich nur nicht verschlösse
    Ihren Wünschen, ihren Küssen–:
    Und so ward er denn genommen.
    Morgens aber in den Städten
    Sieht

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