Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
Vom Netzwerk:
nehmen sie
    Dabei scheuen sie keine Täuschung
    und nicht das Geräusch brechender Herzen
    unter ihren festen Füßchen. Sie lieben dieses Knacken
    das ihren Weg durch den Tag begleitet
    wenn sie den Boden einebnen
    und sie überhören das Gewimmer um Gnade:
    Nur wer einen solchen Tag übersteht
    wird nachts ihr Verlangen nach Freude stillen können.
    Besuch
    Nimm, dich zu wärmen, Liebste, dieses Gewand,
    gewebt aus dem Flaum von Tieren, die man aus
    ihren Müttern herausgeschnitten hat.
    Trag es, Kühle, wenn du zu mir kommst am Abend,
    damit dich nicht friert, wenn du
    mein Herz verspeist.
    Fleischgang
    Warum ist sie nicht geblieben, wo der Pfeffer
    wächst? Den hätten ihre hohen Beine nicht
    scharfmachen können, nicht ihr fester Hintern,
    nicht ihre dunkle Taille.
    Warum steht sie auf der Rolltreppe vor mir?
    Mich machen sie scharf, ihre hohen Beine, ihr
    fester Hintern, ihre dunkle Taille.
    Warum verschwindet sie im Menschengewühl, auf
    ihren hohen Beinen, mit ihrem festen Hintern
    samt ihrer dunklen Taille?
    Glasig blicke ich ihr nach, ein Pfefferstreuer,
    der gerade mitbekommen hat, daß der Fleischgang
    ausfällt.
    Stadtwinter
    Diese kalten Städte vor Weihnachten
    - Geh nicht in die dunklen Straßen, halte dich
    im Licht der Schaufenster auf.
    Diese vielen eiligen Leute, bepackt mit Tüten und Taschen
    - Bleib unter ihnen, je mehr ihr seid, desto
    weniger kann dir passieren.
    Diese abschätzenden Blicke, diese Griffe, die
    aus Tüten und Taschen ragen
    - Jetzt haben wir dich endlich, wo wir dich haben wollen:
    Gut sichtbar mitten unter uns Mördern.
    Kindheit
    An Wasserläufen gehen Kinder entlang, die Verwünschungen ausstoßen. Die Schatten noch fast unbelaubter Bäume werfen ein Netz über sie. Die Eltern folgen in gehörigem Abstand, erfüllt von einer wärmenden Gewißheit: Die entkommen uns nicht.
    Selber im Netz, führen sie Gefangene spazieren. Selber gefangen, spielen sie sich als Wärter auf.
    Am Teich schließlich fand man die Eltern in unguter Haltung. In ihren Mundwinkeln blühte ein Rot, das der Jahreszeit weit voraus war. Die Kinder hockten nicht weit von ihnen und gaben vor, Abzählverse zu murmeln:
    Stripp, strapp, strull, wir haben die Brücken abgebrochen. Strull, strapp, stripp, von nun ab machen wir, was wir wollen.
    Ein Brief
    Ich habe es, liebe Mutter, hier gut getroffen. Ich bin, wie gewünscht, im »Bären« abgestiegen. Das Zimmer ist, wie angekündigt, geräumig und ruhig gelegen.
    Die Wände hier sind zwar das reinste Papier, doch so kann ich die Stimmen meiner Feinde besser hören. Schamlos entwickeln sie im Nebenraum Pläne zu meiner Auslöschung, wobei sie allerdings über die Methode uneins sind: Soll mich Entbehrung verzehren oder Überfluß ersticken?
    Die Nächte hier sind zwar vom ständigen Gegurgel der Rohrleitungen erfüllt, doch ersehe ich aus der Tatsache, wieviel sie sie selber belastendes Material, meine Feinde, hinunterspülen müssen, die ungemeine Wichtigkeit Deines mir anvertrauten Wissens. Wo nur soll ich es verstecken, wenn es meinem Kopf an den Kragen gehen sollte?
    Die Bedienung hier ist zwar ungemein umständlich, doch wenn nach langem Läuten endlich jemand in der Tür steht, versehen mit dem obligaten verhängten Tablett, dann ist es auch zuverlässig mein Doppelgänger, welcher, da er meine Wünsche ja in- und auswendig kennt, mir lächelnd den Revolver offenbart, der unter dem Tuch gelegen hat, und mich zuvorkommend fragt: Mein Herr, soll ich veranlassen, daß Sie die Radieschen von unten betrachten können, oder wollen Sie, was natürlich auf das gleiche hinausläuft, mir das Lebenslicht ausblasen?
    Ich erwarte, wie abgemacht, jeden Moment das Eintreffen der von Dir avisierten Kontaktperson. Ich habe, wie gewünscht, jene Manschettenknöpfe angelegt, welche Vater an besagtem Mittwoch trug. Ich hoffe Dir, liebe Mutter, bald wieder unter die Augen treten zu können.
    Dein
    Falscher Freund
    Leg Hand an! Wir wollen
    einen Damm gegen die Flut
    errichten!
    - Ich bin dabei
    Geschafft! Nun können wir
    unbehelligt von den Elementen
    ein Leben in Sicherheit und
    Würde führen!
    - Ich bin dabei
    Aber was ist das? Wieso
    stehen wir bereits bis zu den Knöcheln
    im unaufhörlich steigenden Naß?
    - Ich bin dabei, auszulaufen.
    Hohe Schule
    Der Weg ist mit Bettlern gesäumt/die ihre Hirnschalen vor sich aufgestellt haben.
    Sie bitten die Vorbeigehenden um milde Gaben/in Form von Gedanken oder Eingebungen.
    Doch so sehr sie auch flehen/die Behältnisse bleiben

Weitere Kostenlose Bücher