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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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»natürlich«?
    Was bedeutet »bedeutender«?
    Was bedeutet »Lettau«?
    Was bedeutet »bedeutet«?
    »Natürlich« bedeutet natürlich nichts.
    »Bedeutender« bedeutet natürlich auch nichts.
    »Lettau« bedeutet natürlich gar nichts.
    »Bedeutet« bedeutet natürlich bedeutet.
    Einzig »ich«, das bedeutet was.
    Unter »ich« kann ich mir etwas vorstellen.
    Unter »mir« kann ich mir allerdings schon weniger vorstellen,
    außer, natürlich, Reinhard Lettau.
    Bescheidener Dichter
    Älter ist das Wort
    und gewitzter als ich.
    Dauernder der Satz:
    Wozu braucht der mich?
    Satz verlangt nach Satz:
    So entsteht Gedicht.
    Und das macht dann Sinn.
    Aber ich doch nicht.
    Schamerfüllter Dichter
    Daß der Wolf
    Daß der Wolf Biermann
    Daß der wortgewaltige Wolf Biermann
    All sein Lebtag nichts zu Papier gebracht hat
    Was sich dem vergleichen ließe, was dieser Spitzel
    Was dieser gottverlassne Stasi-Spitzel in jener Nacht
    notierte:
    »Wolf Biermann führte mit einer Dame
    Geschlechtsverkehr durch.
    Später erkundigte er sich,
    ob sie Hunger hat.
    Die Dame erklärt, daß sie gern
    einen Konjak trinken würde.
    Es ist Eva Hagen.
    Danach ist Ruhe im Objekt.«
    Daß das nicht schlecht sei
    Daß das bei Gott ziemlich gut sei
    Daß das verdammt noch mal besser sei als s.o.–:
    Das denkt er, und er schämt sich.
    Sechs berühmte Dichter
    Der Brecht schrieb auf die Berlau
    viele schöne Gedichte.
    Sie machte sich daraufhin Hoffnungen.
    Er machte Literaturgeschichte.
    Der Beckett hielt die Welt nicht aus.
    Da machte er ein Drama draus.
    Das machte die Welt nicht besser:
    Dichter sind unnütze Esser.
    Der Böll war als Typ wirklich klasse.
    Da stimmten Gesinnung und Kasse.
    Er wär' überhaupt erste Sahne,
    wären da nicht die Romane.
    Der Dichter Jabès preist das Schweigen.
    Der Fernseh tut ihn dabei zeigen,
    wie er spricht und spricht und spricht:
    Schweigen ist das nicht.
    Der eine liest die Iren.
    Der andre liest die Briten.
    Ein dritter liest die Russen.
    Der Grass liest die Leviten.
    Was Müller noch zu sagen hat,
    das steht auf einem andern Blatt.
    Das aber läßt der Dichter leer -
    vielleicht ist Heiner keiner mehr.
    Sieben Dichterportraits
    Goethe
    Vom Vater hat er die Statur,
    Des Lebens ernstes Führen,
    Von Mütterchen die Frohnatur
    Und Lust zu fabulieren.
    Heine
    Denkt er an Deutschland in der Nacht,
    Dann ist er um den Schlaf gebracht,
    Er kann nicht mehr die Augen schließen,
    Und seine heißen Tränen fließen.
    Nietzsche
    Er wohnt in seinem eigenen Haus,
    Hat niemandem nie nichts nachgemacht
    Und – lachte noch jeden Meister aus,
    Der nicht sich selber ausgelacht.
    Rilke
    Er lebt sein Leben in wachsenden Ringen,
    die sich über die Dinge ziehn.
    Er wird den letzten vielleicht nicht vollbringen,
    aber versuchen will er ihn.
    Benn
    In seinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs
    wurde auch kein Chopin gespielt
    ganz amusisches Gedankenleben
    sein Vater war einmal im Theater gewesen
    Anfang des Jahrhunderts
    Wildenbruchs »Haubenlerche«
    davon zehrten sie
    das war alles.
    Brecht
    Er, Bertolt Brecht, ist aus den schwarzen Wäldern.
    Seine Mutter trug ihn in die Städte hinein
    Als er in ihrem Leibe lag. Und die Kälte der Wälder
    wird in ihm bis zu seinem Absterben sein.
    Ingeborg Bachmann
    Abends fragt sie ihre Mutter
    heimlich nach dem Glockenläuten,
    wie sie sich die Tage deuten
    und die Nacht bereiten soll.
    Guter Rat Kritik betreffend
(nebst einer Bekräftigung)
    Guter Rat
    Laß nicht zu, daß sie dich loben.
    Wer dich lobt, darf dich auch tadeln.
    Und du mußt dann sein Geseires
    auch noch durch Verständnis adeln.
    (Bekräftigung
    Hör nicht hin, wenn sie dich tadeln,
    doch hör weg, wenn sie dich loben.
    Tadler ziehen dich nur nieder,
    doch die Lober s.o.)
    Güterabwägung
    Begabt sein: Immer!
    Genie: Nein danke!
    Talent: Der Gesunde.
    Genie: Das Kranke.
    Genie gerät
    rasch an die Schranken:
    Es muß gesunden.
    Talent kann erkranken.
    Natürlich könnte
    Genie auch sterben.
    Sein Werk lebte weiter:
    Talent würde erben.
    Dem, der zu früh geht,
    bleibt nichts von den Resten.
    Genie wird betrauert,
    Talent lacht am besten.
    Nach der Lektüre einer
Anthologie
    Der Pissefleck am Fuß der Rolltreppe der
    U-Bahn-Station Miquel-Adickes-Allee
    Ich behaupte nicht, daß er besser ist
    als eines der vielen Gedichte
    die ich heute gelesen habe
    ich weiß nur, daß er mir mehr sagt
    Dieser Pissefleck am Fuß der Rolltreppe der
    U-Bahn-Station Miquel-Adickes-Allee
    Redet davon, daß da wer unter Druck

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