Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
»natürlich«?
Was bedeutet »bedeutender«?
Was bedeutet »Lettau«?
Was bedeutet »bedeutet«?
»Natürlich« bedeutet natürlich nichts.
»Bedeutender« bedeutet natürlich auch nichts.
»Lettau« bedeutet natürlich gar nichts.
»Bedeutet« bedeutet natürlich bedeutet.
Einzig »ich«, das bedeutet was.
Unter »ich« kann ich mir etwas vorstellen.
Unter »mir« kann ich mir allerdings schon weniger vorstellen,
außer, natürlich, Reinhard Lettau.
Bescheidener Dichter
Älter ist das Wort
und gewitzter als ich.
Dauernder der Satz:
Wozu braucht der mich?
Satz verlangt nach Satz:
So entsteht Gedicht.
Und das macht dann Sinn.
Aber ich doch nicht.
Schamerfüllter Dichter
Daß der Wolf
Daß der Wolf Biermann
Daß der wortgewaltige Wolf Biermann
All sein Lebtag nichts zu Papier gebracht hat
Was sich dem vergleichen ließe, was dieser Spitzel
Was dieser gottverlassne Stasi-Spitzel in jener Nacht
notierte:
»Wolf Biermann führte mit einer Dame
Geschlechtsverkehr durch.
Später erkundigte er sich,
ob sie Hunger hat.
Die Dame erklärt, daß sie gern
einen Konjak trinken würde.
Es ist Eva Hagen.
Danach ist Ruhe im Objekt.«
Daß das nicht schlecht sei
Daß das bei Gott ziemlich gut sei
Daß das verdammt noch mal besser sei als s.o.–:
Das denkt er, und er schämt sich.
Sechs berühmte Dichter
Der Brecht schrieb auf die Berlau
viele schöne Gedichte.
Sie machte sich daraufhin Hoffnungen.
Er machte Literaturgeschichte.
Der Beckett hielt die Welt nicht aus.
Da machte er ein Drama draus.
Das machte die Welt nicht besser:
Dichter sind unnütze Esser.
Der Böll war als Typ wirklich klasse.
Da stimmten Gesinnung und Kasse.
Er wär' überhaupt erste Sahne,
wären da nicht die Romane.
Der Dichter Jabès preist das Schweigen.
Der Fernseh tut ihn dabei zeigen,
wie er spricht und spricht und spricht:
Schweigen ist das nicht.
Der eine liest die Iren.
Der andre liest die Briten.
Ein dritter liest die Russen.
Der Grass liest die Leviten.
Was Müller noch zu sagen hat,
das steht auf einem andern Blatt.
Das aber läßt der Dichter leer -
vielleicht ist Heiner keiner mehr.
Sieben Dichterportraits
Goethe
Vom Vater hat er die Statur,
Des Lebens ernstes Führen,
Von Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabulieren.
Heine
Denkt er an Deutschland in der Nacht,
Dann ist er um den Schlaf gebracht,
Er kann nicht mehr die Augen schließen,
Und seine heißen Tränen fließen.
Nietzsche
Er wohnt in seinem eigenen Haus,
Hat niemandem nie nichts nachgemacht
Und – lachte noch jeden Meister aus,
Der nicht sich selber ausgelacht.
Rilke
Er lebt sein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Er wird den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will er ihn.
Benn
In seinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs
wurde auch kein Chopin gespielt
ganz amusisches Gedankenleben
sein Vater war einmal im Theater gewesen
Anfang des Jahrhunderts
Wildenbruchs »Haubenlerche«
davon zehrten sie
das war alles.
Brecht
Er, Bertolt Brecht, ist aus den schwarzen Wäldern.
Seine Mutter trug ihn in die Städte hinein
Als er in ihrem Leibe lag. Und die Kälte der Wälder
wird in ihm bis zu seinem Absterben sein.
Ingeborg Bachmann
Abends fragt sie ihre Mutter
heimlich nach dem Glockenläuten,
wie sie sich die Tage deuten
und die Nacht bereiten soll.
Guter Rat Kritik betreffend
(nebst einer Bekräftigung)
Guter Rat
Laß nicht zu, daß sie dich loben.
Wer dich lobt, darf dich auch tadeln.
Und du mußt dann sein Geseires
auch noch durch Verständnis adeln.
(Bekräftigung
Hör nicht hin, wenn sie dich tadeln,
doch hör weg, wenn sie dich loben.
Tadler ziehen dich nur nieder,
doch die Lober s.o.)
Güterabwägung
Begabt sein: Immer!
Genie: Nein danke!
Talent: Der Gesunde.
Genie: Das Kranke.
Genie gerät
rasch an die Schranken:
Es muß gesunden.
Talent kann erkranken.
Natürlich könnte
Genie auch sterben.
Sein Werk lebte weiter:
Talent würde erben.
Dem, der zu früh geht,
bleibt nichts von den Resten.
Genie wird betrauert,
Talent lacht am besten.
Nach der Lektüre einer
Anthologie
Der Pissefleck am Fuß der Rolltreppe der
U-Bahn-Station Miquel-Adickes-Allee
Ich behaupte nicht, daß er besser ist
als eines der vielen Gedichte
die ich heute gelesen habe
ich weiß nur, daß er mir mehr sagt
Dieser Pissefleck am Fuß der Rolltreppe der
U-Bahn-Station Miquel-Adickes-Allee
Redet davon, daß da wer unter Druck
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