Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
ihre Pisse ruckweis höher,
worauf die mäandernd die Tapete
runterfloß und satt im Teppich aufging.
Jedenfalls fast immer, denn bisweilen
hielt die Katze voll auf den Metallschrank,
einst gekauft als dauerhafte Obhut
höchst fragiler Kunst, nun selbst verletzbar.
Denn das zarte Tier verspritzte Säure,
die, nicht weggewischt, kristallisierte,
durch die Farbe drang, bis sie am Ziel war,
dem Metall. Und das begann zu rosten.
Pünktchen waren's erst, dann waren's Flecken,
Flecken schlossen sich zu braunen Feldern,
flüchtig einst Benetztes fand Jahrzehnte
keine Ruh': Was dauert, ist der Wandel.
Elend lange her das Ganze. Heute
sind sie längst verschieden, Kunst wie Katze.
Leblos wie die Blätter in den Fächern
ruht die Katz, es hat sich ausgezinkelt.
Aber uns zwei beide, Rost und Robert,
gibt's noch immer, einer schon recht rostig.
Aber er! Da so ein Rost nicht rastet,
rostet er auch nicht. Das lebt und frißt sich
fort und fort und durch und durch, bis schließlich
mit dem Fraß sich auch der Fresser auflöst:
Wo nichts ist, kann nichts mehr rosten. Aber
noch ist er am Werk, das jede Stunde
weiterwächst, indem das weiterschwindet,
was es nährt: Schier ewig währt das Enden.
Schau nur hin! Es wird das Werk der Katze
dich und mich und unser beider Werke
locker überleben, ganz zu schweigen -
Ja, mein Freund, schweige!
Nie sprachst du wahrer.
Nach so viel Durchblick
hilft nur ein Kümmel.
Für Rosa
Immer weniger können
Immer mehr nicht mehr können:
Nicht mehr hinten hoch können
Nicht mehr vorne hoch können
Nicht mehr fressen können
Nicht mehr trinken können
Nicht mehr scheißen können
Nicht mehr pissen können
Nicht mehr lecken können
Nicht mehr strecken können
Noch zucken können
Noch schnaufen können
Nicht mehr zucken können
Nicht mehr schnaufen.
Freund der Geschichte in Rom
Geschichte ist kein Lehrbuch,
Geschichte ist ein Sumpf.
Wer immer den durchmessen wollt',
dem wurd' der Maßstab stumpf,
dem wurd' der Maßstab rostig
am ausgestreckten Arm,
die feuchten Finger frostig,
indes der Kopf noch warm.
Nicht lange! Und auch ihn verschlingt
ganz bodenlose Kühle:
Für den, der sich vertiefen will,
das höchste der Gefühle.
Vertaner Tag
Vertaner Tag! Ich war zu klug
Leer blieb der Hut der Bettlerin
Sie war so schlecht, ich nahm ihr nicht
Die Krücken, nicht das Zittern ab
Geschweige denn das wunde Bein:
So legte diese Frau mich rein.
Denn wer sich nicht erbarmt,
Verarmt.
Vertaner Tag! Ich war zu stark
Ich redete, der andre schwieg
Er war so schwach, ich drückte ihn
Wie 'ne Zitrone an die Wand
Hielt ihn dort nach Belieben fest:
So hat der Kerl mich ausgepreßt.
Denn der, der ständig spricht,
Lernt nicht.
Vertaner Tag! Ich war zu gut
Auf Schritt und Tritt fiel mir was ein
Fiel mir was auf. Fiel sich ins Wort
Das war des Guten schlicht zuviel
Zum Halten fehlte mir die Kraft:
So hat der Reichtum mich geschafft.
Denn was sich nur ergießt,
Zerfließt.
Am Abend der ersten Extraktion
Ich bin nicht mehr vollkommen,
ein Zahn ward mir genommen.
Ein Zahn, der über fünfzig Jahr
in meinem Munde heimisch war.
Ein Zahn, der stolz und selbstgewiß
noch härtestes Gebäck zerbiß.
Ein Zahn, der kaute, lebte, litt,
bis man ihn aus dem Zahnfleisch schnitt:
Heut morgen lag er nackt und klein
vor mir, ein Kind aus Elfenbein.
Ein Teil von mir, ein Stück, das fehlt,
obwohl es mich nun nicht mehr quält.
Die Zunge sucht an diesem Fleck.
Vergeblich. Denn der Zahn ist weg.
Statt dessen derart wunde Haut,
daß sie die kaum zu lecken traut.
Der Zahn ist fort, es ist soweit.
Mein Zahn verging vorm Zahn der Zeit.
Er ging voran, der Rest folgt nach:
Heut abend lag ich lange wach.
Am Vorabend der Vierten
Immer weniger Zähne
stehn mir im Munde umher.
Einer geht nach dem andern,
die Lücken werden mehr.
Der Zahn geht unter Schmerzen.
Schmerzlos dauert die Lücke.
Wer so etwas einmal erlebt hat, geht
geradezu gerne in Stücke:
Hinfort mit allem, was da ist!
Was weg ist, kann nicht leiden.
Und man wird das, was übrigbleibt,
als blankes Nichts beneiden.
Glückliche Trennung
Ich möchte aus meiner Mundhöhle ausziehn
Ich will mich mit Zahnfleisch und Zähnen lagern
Längs eines Bächleins silbernem Rieseln
Und davon reden, wie schwer wir es hatten
Ihr immer im Dunkel
Ich immer in Ängsten
Wir immer fremd.
Ich möchte aus meiner Mundhöhle ausziehn
Ich will mit Zahnfleisch und Zähnen besprechen
Eingebettet
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