Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
Vom Netzwerk:
gestellt, die ich
    schon für sechs Mark bekommen hab. Als ich
    selbst fünfzig wurde, war's wesentlich teurer.
    Weißwein und Rotwein und Sekt und die Schwere
    zahlloser Speisen bogen die Tische,
    an denen die Menge der tafelnden Gäste
    sich's wohlsein ließ und die Helfenden schwitzten,
    sie immer vorneweg. Vor drei Jahren
    ging das ins Geld. Nun geht sie selbst leer aus.
    Nehmen tun nur die Lebenden, Tote
    brauchen nichts, kaufen nichts, halten nichts, altern nicht.
    Prozess
    Ich war praktisch dauernd bei ihr
    Ich bin für alles geradegestanden
    Ich hielt ihre Hand, wenn die Anfälle kamen
    Ich telefonierte mehr als einmal nach dem Notarzt
    Sie hatte es schwer, doch ich hatte es auch nicht leicht -
    »Du weißt, daß das nicht reicht.«
    Ich weiß.
    Ich hätte meine Hand für sie gegeben
    Ich habe ihr meine Nächte geopfert
    Ich kam selbst ganz runter in den Jahren
    Ich bin noch heute ziemlich am Boden
    Es klingt vielleicht blöd, wenn man das vergleicht -
    »Du weißt, daß das nicht reicht.«
    Ich weiß.
    Ich werde ebenfalls mal sterben
    Ich hoffe, dann kümmert sich auch wer um mich
    Ich jedenfalls habe mich gekümmert
    Ich habe mir nicht das Geringste vorzuwerfen
    Schulden tilgt man dadurch, daß man sie begleicht -
    »Du weißt, daß das nicht reicht.«
    Ich weiß.
    Ich war häufig nicht bei ihr
    Ich habe mein eigenes Leben gelebt
    Ich hielt mich anderswo auf, wenn die Anfälle kamen
    Ich telefonierte, um sie auf mein Ausbleiben vorzubereiten
    Sie hatte es schwer, und ich machte es mir leicht -
    »Du weißt, daß das nicht reicht.«
    Ich weiß.
    Ich habe meine Hand immer noch
    Ich verbringe wieder ungestörte Nächte
    Ich habe mich wieder einigermaßen gerappelt
    Ich fühle mich wieder ziemlich obenauf
    Sterben ist nun mal tief, und leben ist nun mal seicht -
    »Du weißt, daß das nicht reicht.«
    Ich weiß. Ich weiß. Ich weiß.
    Jahrestag
    Als du starbst, weißt du,
    war so tolles Wetter,
    Sonne von Schweden bis Sizilien.
    Auf halber Strecke du, der die Luft wegblieb
    und der das Herz brach,
    unter dem wolkenlosen Himmel,
    der Europa überspannte.
    Zwei Jahre später:
    Es schüttet und schüttet.
    Kein Wetter fürn Friedhof, du mußt schon entschuldigen.
    Auf halber Strecke ich, der es aufgab,
    mich vor dir zu verneigen,
    heute, unter dem tiefgrauen Himmel,
    der uns hier das Leben schwer macht.
    Hyänen
    Das unterscheidet den Menschen von den Tieren:
    Er kann selbst den Tod instrumentalisieren.
    Das Tier verreckt, der Mensch geht dahin.
    Das Tier stirbt sinnlos, beim Mensch macht es Sinn.
    Der Tod des Menschen ernährt Interpreten
    In Form von Gedichten oder Gebeten:
    Die Dichter, die Priester -
    Sinngeile Biester.
    Die Priester, die Dichter -
    Feiles Gelichter.
    Wiederholung
    Das war ihr letzter Herbst. Wir gingen
    den Fluß entlang. Der mündete im Meere.
    Das Meer war blau und weit und öde.
    Beim Anblick freuten wir uns auf den Rückweg.
    Auf dunkles Laub vor blendend hellem Wasser.
    Auf die zum Platzen pralle Frucht im Lichtfleck.
    Auf den Geruch der Blätter in Verwesung.
    Auf Wärme, Kühle und auf deren Wechsel.
    Vier Jahre später. Wieder ein Fluß.
    Wieder ein Herbst. Und beim Gang durch die Gärten
    wieder die Früchte, das Licht und der Vorsatz,
    so bald wie möglich wiederzukommen.
    PRATOMAGNO
    Seh ich den Berg,
    seh ich auch sie,
    die diesen Berg gemalt hat,
    der taubensanft und pflaumenblau
    dermaßen schön entrückt war,
    daß sie den Pinsel sinken ließ:
    »Wie soll man das da malen!«
    So, aufgebracht und angeregt,
    nahm sie die Arbeit wieder auf.

V
    Übersetzungen
    Gnadenlos schön
    (Freie Fassung)
    Wenn schöne Frauen morgens sich erheben,
    Nicht ahnend, worein abends sich verwandeln,
    Doch wissend, daß nur selbstverliebtes Handeln
    Aus Hiersein Dasein macht, aus Dasein Leben,
    Da doch nur die befähigt ist, zu geben,
    Die es gewagt hat, alles sich zu nehmen,
    In tausend Masken, ohne sich zu schämen,
    Aus tausend Herzen, ohne je zu beben -
    So gehn sie in den Tag. Mit harten Schritten,
    Daß unter ihrer starken Füße Tritten
    Der Krumme grade wird, der Schiefe eben,
    Der Weiche fest. Vergeblich alle Bitten
    Um Gnade: Nur wer solchen Tag durchlitten
    Darf nachts in ihren Armen steil entschweben.
    Schöne Frauen ohne Gnade
    (Wörtliche Fassung)
    Schöne Fraun, die am Morgen nicht wissen:
    In was werden wir uns am Abend verwandelt haben
    betrachten sich verliebt im Spiegel:
    Ich bin hier und dort zugleich, also lebe ich
    Sie finden nichts dabei, sich hinzugeben
    doch noch lieber

Weitere Kostenlose Bücher