Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
Vom Netzwerk:
Helle
    harre ich der Dunkelinseln,
    doch kein Fluchen und kein Winseln
    bringt mich Wachen von der Stelle,
    festgetäut ans Floß der Helle.
    Angespült am Fels der Frühe
    träume ich vom Strand der Ruhe,
    jäh gestört durch schwere Schuhe -
    Vater Fleiß und Mutter Mühe
    nähern sich dem Fels der Frühe:
    Steig auf, Sonne, strahle, glühe!
    Was der Tag bringt
    Dieses Kreischen um fünf,
    dieses furchtbare Kreischen!
    - Das sind die Amseln.
    Die bringen dir doch nur ein Ständchen.
    Dieses Tuckern um sechs,
    dieses gräßliche Tuckern!
    - Das ist das Moped des Zeitungsboten.
    Der bringt dir doch nur deine Zeitung.
    Dieses Poltern um sieben,
    dieses wahnwitzige Poltern!
    - Das ist der Wagen der Stadtreinigung.
    Der bringt doch nur deinen Müll weg.
    Dieses Brummen um acht,
    dieses schreckliche Brummen!
    - Das sind die Flugzeuge.
    Die bringen dir doch nur deine Kaptrauben.
    Und das Stöhnen fortwährend.
    Dieses nichtabreißende Stöhnen!
    - Das warst du.
    Sowas bringst doch nur du, du Weichei.
    Unperson
    Ein einsilbiges Couplet
    Man kennt mich in Graz
    Und man liest mich in Linz
    In Steyr bin ich Star
    Und in Melk bin ich Prinz
    Man hebt mich in Wels auf den Dichterthron -
    Nur in Wien bin ich eine Unperson.
    Man ehrt mich in Chur
    Und man liebt mich in Biel
    Genf zahlt mich gut
    Und Buchs zahlt mir viel
    Man lockt mich nach Bern mit klingendem Lohn -
    Nur in Wien bin ich eine Unperson.
    Man nervt mich in Greiz
    Und man höhnt mich in Mölln
    Man schmäht mich in Trier
    Und man haßt mich in Köln
    Man quält mich in Hamm mit beißendem Hohn -
    Nur in Wien
    Nur in Wien
    Nur in Wien bin ich eine Unperson.
    Diät-Lied (mit Ohrfeigenbegleitung)
    Ich freu mich auf mein Frühstück
    Da schneide ich zwei Hörnchen auf
    (Klatsch Klatsch)
    Da schneid ich etwas Graubrot auf
    und schmiere mir dick Butter drauf
    und Leberwurst und
    (Klatsch Klatsch)
    Und schmier dünn Margarine drauf
    und etwas Kräuterpaste
    und reichlich Gorgonzola
    (Klatsch Klatsch)
    Und keinen Gorgonzola
    Sodann greif ich zum Pfirsich
    Den schneide ich in Stücke
    und haue massig Sahne drauf
    (Klatsch Klatsch)
    Und mache einen Joghurt auf
    und tu ihn auf den Pfirsich
    und reichlich Gorgonzola
    (Klatsch Klatsch)
    Und keinen Gorgonzola
    und zwanzig Löffel Müsli
    (Klatsch Klatsch)
    Und einen Löffel Müsli
    Dann freu ich mich auf Mittag
    Da brat ich einen Tofu auf
    und tue reichlich
    (Klatsch Klatsch)
    Sprossen drauf
    und jede Menge
    (Klatsch Klatsch)
    Kleie
    Das eß ich, weil es sein muß
    und freue mich aufs Abendbrot
    Da gibt's ein Riesenschnitzel
    (Klatsch Klatsch)
    Da gibt's ein kleines Schnitzel
    (Klatsch Klatsch)
    Da gibt es gar kein Schnitzel
    Da mach ich einen Bratling warm
    und tu dick Majonäse drauf
    (Klatsch Klatsch)
    Und drei, vier Spiegeleier
    (Klatsch Klatsch)
    Und reichlich Gorgonzola
    (Klatsch Klatsch)
    Und schütt es in den Lokus
    Dann drücke ich die Spülung
    und freu mich auf den Nachtisch
    da trinke ich vom feinsten
    (Klatsch Klatsch)
    Und stillsten Wasser, das es gibt
    sodann wird ein Versuch geübt:
    Wieviel vom schweren roten Wein
    geht in den Durchschnittsmann hinein?
    (Klatsch Klatsch)
    Wenn der dabei im Schmalztopf wühlt
    (Klatsch Klatsch)
    Sich grad wie Gott in Frankreich fühlt
    (Klatsch Klatsch)
    Fünf Eisbein mit zehn Bierchen kühlt
    (Klatsch Klatsch)
    Und die mit Schnäpsen runterspült
    (Klatsch Klatsch)
    Und reichlich
    (Klatsch Klatsch)
    Gorgonzola
    Das will ich ausprobieren
    und sollt ich dran krepieren
    dann hab ich meine letzte Nacht
    zumindest lustvoll
    (Klatsch Klatsch)
    Zumindest heiter
    (Klatsch Klatsch)
    Zumindest spannend
    (Klatsch Klatsch)
    Zumindest nahrhaft
    zugebracht.
    Mein Feind
    Für XY
    Auch ich hab einen Feind – nein, du bist nicht gemeint.
    Bist schlicht zu unwichtig für jemanden wie mich.
    Wer mich befeinden will – sei du jetzt bitte still–,
    wer mich zum Feind erwählt – nun schau nicht so gequält–,
    muß wissen: Diese Ehr' erringt nicht irgendwer.
    Für einen Feind bist du – du hörst jetzt bitte zu – :
    Zu unklug und zu unbekannt,
    zu unfreundlich, zu ungalant,
    zu prolo und zu chauvi,
    zu macho und zu doofi,
    zu abgewrackt, zu ausgelutscht,
    zu aufgeschwemmt, zu abgerutscht,
    zu feist, zu schwach, zu laut, zu blöd,
    zu arm, zu mies, zu mau, zu öd – :
    Nein, nein, nein, mein Feind kannst du nicht sein.
    Mein Feind muß klug und stolz sein, aus gradgewachsnem Holz sein,
    ist schön dabei und stark, grundehrlich bis ins Mark,
    das Gegenteil von dir. Nein – Feind ist

Weitere Kostenlose Bücher