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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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zu sagen Ballermanneskes. Schon von Weitem hörte ich laute Musikfetzen durch den Wald schallen. Als ich näher kam, sah ich Zelte, Bier- und Imbissbuden, und die Menge grölte den Italo-Hit »Volare«. Ich ging ins Innere des Gasthauses, wo es etwas leiser war. So etwas hatte ich noch nie gesehen, hier konnten 300 Wanderer in zwei verschiedenen Räumen, dem »Rucksacktreff« und »Joe’s Bar«, sitzen und sich stärken. Es gab sogar ein paar Tische für Selbstverpfleger, obwohl diese nicht zum Umsatz beitrugen. Ich trank eine Apfelschorle, aß ein gebackenes Schollenfilet und machte mich schnell wieder auf den Weg.
     
    Schnell ging es aber nicht weiter. Keine 300 Meter hinter dem Gasthaus versuchte ich, eine sechsköpfige Gruppe zu überholen, was auf dem schmalen Pfad nicht ganz einfach war. Bei zwei Männern gelang es sofort, am dritten kam ich nicht vorbei. Immer wenn ich eine Lücke entdeckt hatte, schwankte er genau vor meine Füße. Er war sturzbetrunken und torkelte hin und her. Mit einem Crosscheck machte ich mir endlich Platz und zog vorbei. Ich muss gestehen, dass mir erst im Zug nach Oberhof bewusst geworden war, nicht an irgendeinem Donnerstag unterwegs zu sein. Es war Christi |388| Himmelfahrt, auch bekannt als Vatertag. Jede Hütte seit Oberhof war voll mit trink- und sangesfrohen Männern. Die meisten waren eigentlich zu jung, um Väter zu sein, sie waren zwischen 16 und 18 Jahren und setzten sich mit Likören in blauen und roten Neonfarben außer Gefecht. Später erfuhr ich, dass der Vatertag im Osten Deutschlands als Herrentag bekannt ist, was den Kreis der Komawilligen natürlich erheblich vergrößert. Eine Stunde hinter Schmücke kam ich an der Holzhütte »Alte Tränke« vorbei. Drei Bollerwagen lehnten an der Außenwand, die jugendlichen Insassen hatten gegen den Regen eine blaue Plane vor die Hütte gespannt, saßen also im Finsteren, tranken und grillten. Und dann erklang mitten im Thüringer Wald »Viva Colonia«. Karneval am Rennsteig. Wieder ging ich schnell weiter.
     
    Der Weg war eigentlich seit Schmücke sehr schön, es ging durch einen dichten Nadelwald über viele Wurzeln. In 50 Meter Entfernung verlief parallel zum Wanderweg eine Straße, die früher mit Sicherheit der eigentliche Kamm- und damit auch Wanderweg gewesen war. Dann hatte man sie asphaltiert und den Wanderweg daneben angelegt. Es war nicht viel los auf der Straße, sodass man meist vergessen konnte, dass sie überhaupt existierte.
    Hinter dem Dorf Allzunah (an was dieser Ort zu nah war, erschloss sich mir nicht. Zu nah am Wald, zu nah an Schmücke, zu nah am Rennsteig?) ließ sich eine siebenköpfige Wandergruppe von einem Kleinbus abholen. Einfach so, mitten auf der Strecke. Die Wanderkollegen klopften sich die Schuhe ab und bestiegen den Bus. Das war aber gar nicht runstig und im Sinne der Rennsteig-Erfinder. Der Busfahrer fragte mich, ob ich auch von Aktiv-Reisen sei. Ich antwortete mit allem gebotenen Wanderstolz, dass ich aktiv sei und zu Fuß weitergehe. Nach 27 Kilometern kam ich um 18 Uhr |389| in Neustadt am Rennsteig an. Nur in Thüringen gibt es Ortschaften, die nach einem Wanderweg benannt sind.
    In Neustadt am Rennsteig übernachtete ich nicht im Hotel, sondern in einem Privathaus, da der Ort komplett ausgebucht war. Ich bekam im »Rennsteighotel Hubertus« einen Schlüssel und ging zwei Häuser weiter. Als ich die Haustür aufschloss, hörte ich Hundebellen, öffnete also schnell, wie man mir gesagt hatte, die erste Tür zu meiner Rechten. Dahinter verbarg sich ein Zimmer mit niedriger Decke und ein Badezimmer. Im Raum standen außer einem Bett ein Sessel, ein Fernseher der Marke Robotron (ich versagte beim Versuch, ihn einzuschalten), ein Schaukelstuhl, und über dem Bett hingen zwei Bilder, die einen weinenden Jungen und ein weinendes Mädchen zeigten. Herrlich! Eine richtige Rennsteig-Suite.
    Ein bislang unentdeckter Schatz der Kunstgeschichte in der Rennsteig-Suite
    Am nächsten Morgen traute ich beim Blick aus dem Fenster meinen Augen nicht. Entgegen aller Vorhersagen hatte sich das regnerische, dunstige Wetter verzogen. Nach dem Frühstück ging ich sofort los. Hinter Neustadt blickt man weit ins Land und schaut über den Thüringer Wald. Nach sieben Kilometern führte ein Hohlweg hoch nach Masserberg. Während ich ein Pärchen beobachtete,  |390| dass exzessiv damit beschäftigt war, mit dem Finger ins Grüne zu zeigen (eine meiner liebsten Wandergesten), packte mich der Ehrgeiz. Ich war jetzt

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