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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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über zehn Kilometer unterwegs und fühlte mich großartig. Heute könnte ein großer Wandertag werden. In meinem Kopf entspann sich ein längerer Disput.
    »Am vernünftigsten, mein lieber Manuel, wäre es, am Bahnhof Ernstthal nach 32 Kilometern Schluss zu machen. Denk an deine Blasenanfälligkeit, und das Wetter könnte noch schlechter werden.«
    »Ach, hör nicht drauf, geh heute mal wieder 40 Kilometer, bis nach Spechtsbrunn«, flüsterte eine andere Stimme. »Wann, wenn nicht heute?«
    Eine dritte Stimme kam dazu. »Jetzt überleg mal, auch 40 Kilometer könnten etwas wenig sein. Außerdem gibt es heute in Spechtsbrunn keine Übernachtungsmöglichkeit, wie willst du da denn wegkommen? Komm, trau dich, geh bis zum Bahnhof in Steinbach am Wald, dann bist du 51 Kilometer gegangen – quäl dich, du Sau!«
    So ging es hin und her. Andere scheinen sich beim Wandern zu entspannen und bekommen den Kopf frei – mir gelingt das nicht. Beim Wandern kommen mir die besten Ideen und schlimmsten Ohrwürmer, abschalten kann ich nicht.
    Perfektes Marketing ist alles.
    Sieben Kilometer hinter Masserberg, im Ferienort Friedrichshöhe, umgeben von ausladenden |391| Wiesen, spürte ich ein leichtes Zwicken unter dem rechten Fußballen. Ich machte sofort eine kurze Pause und schaute mir die Fußsohle an. Da war tatsächlich eine kleine Blase zu entdecken. Um den Anfängen zu wehren – ich hatte ja eventuell noch einiges zu gehen –, klebte ich eine PK (Präventiv-Kompresse) unter meinen Fuß. Federleicht und schmerzbefreit ging es weiter. Die Wege waren nun ausnahmslos gut, keine Straße war zu sehen. Der Rennsteig war so geführt, dass selbst Forstwege vermieden wurden, wo es ging. Zwei Kilometer vor Limbach stand ein Schild im Wald, das für die Einkehr in Elke’s Jägerstube warb. In eine Klarsichthülle war ein Zettel mit dem Tagesgericht gesteckt worden. Heute gab es Pferdeklops. Ich entschied mich für die Schokolade in meinem Rucksack. Kurz vor Limbach kam ich am Dreistromstein vorbei. Dass der Rennsteig Wasserscheide für zwei Ströme, Weser und Elbe, war, hatte ich gewusst, aber die Stelle war eine Dreifachwasserscheide. Einmalig in Deutschland, hier entsprangen Bäche, die zu drei großen Strömen flossen: Weser, Rhein und Elbe.
     
    Ich hatte inzwischen beschlossen, mindestens die 40 Kilometer bis Spechtsbrunn zu gehen. In einer leeren dunklen Hütte wollte ich mich hinlegen und mit einem Nickerchen Kraft schöpfen. Jeder Schlafwissenschaftler rät zu einem Mittagsschlaf, er sollte nur nicht zu lang sein, sonst bleibt man auch am Nachmittag und Abend müde. Mit meiner Fleecejacke deckte ich mich zu, nahm den Rucksack als Kopfkissen und machte, wie es neudeutsch heißt, einen Power-Nap. Nach einer Viertelstunde ging ich weiter. Erfrischt war ich höchstens, weil es begonnen hatte zu regnen. Von einer wirklichen Regenerierung konnte keine Rede sein. Obwohl ich nun physisch und psychisch stark sein musste, denn: Wanderer kommst du nach Neuhaus am Rennweg, vergiss dein Oropax |392| nicht! Der Ort zieht sich Kilometer um Kilometer, bis auf ein kurzes Stück Wiese, immer an der Bundesstraße entlang. Ich schlage einen Neuhaus-Umgehungs-Shuttle vor. Am Ortseingang müsste ein kleiner Bus stehen, der einen vier Kilometer bis zum Parkplatz der Spedition Anschütz in Ernstthal bringt. Für einen Euro kann man mitfahren, der freundliche Fahrer hätte Kaltgetränke an Bord und beschallt die zufriedenen Wanderer mit dem Rennsteig-Lied auf der Endlosschleife. So wird ein Schuh draus.
    Hätte ich in Ernstthal, einem Ortsteil von Neuhaus, die Wanderung beendet, wäre eine richtige Depression zurückgeblieben und den eigentlich schönen Weg zuvor hätte ich wahrscheinlich verdrängt. Hinter Ernstthal tauchte ich in einen dichten Nebel ein. Schemenhaft kamen mir Wanderer entgegen. Sie schienen allesamt besser gegen den Regen geschützt zu sein. Einige hatten mächtige Komplett-Überwürfe für Körper und Rucksack. Ich hatte nur einen Regenschirm für 2,99 Euro in der Hand. Obwohl ich keine Jeans anhatte, sondern eine Wanderhose mit extrem schnell trocknender Faser, wurden die Hosenbeine immer feuchter. Wann sollte die tolle Faser auch trocknen? Denn im Frühjahr 2006 konnte man über jede Stunde, in der es nicht schüttete, goss und kübelte, froh sein.
    Bis Spechtsbrunn lief ich durch den Regen und zählte blaue Regenschirme. Auf jedem Kilometer fand man einen Schirm, alles unterschiedliche Fabrikate, aber jeder war blau. Andere

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