Gesammelte Wanderabenteuer
und rechts, jedoch nicht so verwittert, wie ich es aus anderen Gegenden kenne, eher glatte Felsflächen, wie von Menschenhand erschaffen. Sie wirkten wie Mauern einer riesigen Festung: eine luxemburgische Alhambra.
Ich erreichte den Aesbach und folgte ihm ins Landesinnere. Ich hatte nicht viel Zeit zu verlieren, war ich doch erst nach 16 Uhr gestartet. Für mich ungewöhnlich, bin ich doch ein Morgenstund-hat-Gold-im-Mund-Frühwanderer. Aber es |401| hatte sich heute so ergeben, und der nachmittägliche Termin passte zum französischen Ambiente der Wanderung. Hier musste ich nicht seit den Morgenstunden fleißig-deutsch mein Wanderpensum wegwandern. Non, c’est la vie, mon Dieu, man macht sich keinen großen Kopf über das Morgen und Übermorgen, lässt erst einmal den halben Tag verstreichen, setzt sich dann vielleicht zu einem achtgängigen Mittagsmenü zu Tisch, trinkt währenddessen fünf Flaschen Rot- und Weißwein, und dann – voilà – bricht man doch noch zu einer Wanderung auf. Ganz so war es bei mir nicht gewesen, aber im Geiste hing ich dieser frankophilen Wanderbeschwingtheit nach.
Am Aesbach wechselten die Felsattraktionen im Viertelstundentakt. Zunächst kam das »Labyrinth«. Na ja, so richtig verlaufen konnte man sich dort nicht, ich brauchte keinen Faden der Ariadne, und der Minotaurus hätte Mühe gehabt, sich ordentlich hinter den Felsen zu verstecken. Auf der anderen Straßenseite tauchte der mächtige Perekop auf, ein gespaltener Monolith. Wie eine Reise zum Mittelpunkt des Felsens führt eine Treppe dort hinauf. Der nächste Höhepunkt ist der Houllay. Der Houllay (also Hohlfelsen) besteht aus einem ausgehöhlten Brocken. Wenn man im Houllay steht und auf die Landschaft hinausschaut, kommt man sich vor wie in der Kommandozentrale von Raumschiff Enterprise. Futuristische Anmutung plus rundes Design der Sechziger. Seit dem Mittelalter wurden hier riesige Mühlsteine herausgeschlagen. Weil Sandstein so weich ist, ging das wohl relativ gut. Die runden, welligen Spuren des Mühlensteinbruchs sind immer noch gut zu erkennen.
Oberhalb des Houllays erreichte ich das Berdorfer Plateau. Ich ging über eine frisch mit Schweinegülle gedüngte Wiese |402| nach Berdorf. Es soll ja immer noch Menschen geben, die die unterschiedlichen Gerüche der Tiere nicht unterscheiden können. Ganz oben in der Hitparade des Wohlgeruchs steht ohne Zweifel der Pferdemist. Ist auch sehr hochwertig und wurde – zumindest vor ein paar Jahrzehnten – für die besten Weinlagen der Republik verwendet. Auch Kuhmist ist noch erträglich. Aber bei Schweinegülle muss man sich fast übergeben. Man hat das Gefühl, der eigene Körper sei durch den Gestank komplett verseucht. Man kann nur versuchen, schnell über so eine Wiese zu gehen und nur noch durch den Mund zu atmen.
In Berdorf riefen sich die Kinder in ihrem außerirdischen Kauderwelsch Fröhliches zu. Am Rinnstein saß eine schwangere Frau neben ihrem Mann im Trainingsanzug, der ein Bier trank. Ich erreichte das Ende des Ortes und ging den Roitzbach entlang zum Roitzbachley, der auf Französisch Gorges du Roitzbach und auf Luxemburgisch Roitzbachschlüff heißt. Teilweise war es hier so eng, dass ich meinen Rucksack abnehmen und mich seitlich durch die Klüfte hindurchschieben musste. Oben angekommen, fand ich eine Eins-a-Aussicht vor. An diesem Aussichtspunkt, das kann man ja ruhig verraten, ist das Foto auf der Rückseite dieses Buches gemacht worden.
Nachdem ich lange genug wie Caspar David Friedrichs Wanderer in die Landschaft gestarrt hatte, stieg ich auf einem anderen Weg den Roitzbachley wieder hinunter. Was folgte, waren unzählige weitere Kletterspielplätze. Eine halbe Stunde später erreichte ich den Aussichtspunkt Casselt und ging zur Sauer hinunter nach Bollendorf. Wenn ich beschreiben würde, wie ich dorthin gelangt bin, müsste ich schlagartig zum Wanderführer mutieren. Keine Lust. Ich gebe nur vier Tipps:
|403| Es ist ein bisschen wie eine Schnitzeljagd.
Gehen Sie nicht ohne Wanderkarte durch den Wald.
Vertrauen Sie nicht unbedingt den Hinweisschildern nach Bollendorf (zweimal geben sie den richtigen Weg an und zweimal nicht).
Sobald Sie Bollendorf sehen, peilen Sie bitte den Kirchturm an und gehen immer den direkten Weg bergab.
Ich ging über die Sauer nach Bollendorf, und in der ersten Gaststätte bestellte ich mir ein Wandertaxi und fuhr zurück in mein Urlaubsdomizil.
Meiner Frau Doro erzählte ich von der Wanderung, und
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