Gesammelte Wanderabenteuer
Blumenblüten sah man zwei Hände, die zum Gruße (oder zur Einheit) sich umschlungen hielten. Das gleiche Motiv kannte man vier Jahrzehnte lang vom Logo der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Da hatten doch diese ollen Kommunisten das Zeichen der Arbeiterwanderer geklaut. Frech!
|253| Das Naturfreundehaus Elmstein besteht aus drei Gebäuden. Neben dem Haupthaus liegen noch ein Gästehaus mit Schlafräumen und ein Haus für Schulklassen. Ein hagerer Mittfünfziger begrüßte uns: »Tach, ich bin der Helmut.« Wir waren im sozialistischen Arbeiterparadies der Naturfreunde angekommen. Unter Genossen duzt man sich natürlich. Helmut zeigte uns das Zimmer, das für eine Jugendherberge recht luxuriös war. Ein Dreibettzimmer mit Dusche und WC. Und zwei Pikkolöchen standen auf einem kleinen Tisch. Eine Aufmerksamkeit des Hauses, die wir aber nicht nutzten.
Das Logo des Arbeiterwandervereins »Naturfreunde«
Um 18 Uhr gingen wir zum Essen. Wir bekamen eine riesige Schüssel Champignoncremesuppe, die Victor despektierlich Mehlschwitzensuppe nannte. Helmut servierte den Hauptgang, Putengulasch und Gemüsereis, mit den Worten: »Gemischte Vogelgrippe.« Ein Früchte-aus-der-Dose-Dessert schloss das Menu ab.
Außer uns waren noch 20 ver.di-Mitglieder zu Gast, die hier ein Seminar abhielten, dessen Thema wir nicht in Erfahrung bringen konnten. Eine kleine Auswahl von ver.di-Seminaren 2005 verdeutlicht, worum es gegangen sein könnte: »Einführung in den MTArb II« oder »LpersVG Rheinland-Pfalz: Einstieg leicht gemacht« oder auch »Sag dem Konflikt, ich komme«. Einige der Gewerkschaftler hatten sich schon Gitarren zurechtgelegt, und während wir noch |254| unser Dessert aßen, ertönten die ersten Blues-Akkorde. Victors Blick gefror. Seine Nasenflügel bebten. »Ruhig, Victor, nicht aufregen. Diese Gitarrenklänge kennen wir doch aus unserer Jugendgruppe.« Den restlichen Abend wurden Cat-Stevens-Songs oder Arbeiterlieder gespielt. Victor beruhigte sich wieder, aber als die Musiker zu spanischen Gitarren-Impros ansetzten, stieß er ein gespielt fassungsloses »Das ist ja grau-en-haft« hervor. Später am Abend kam es zu einem regelrechten »Sängerstreit auf der Wartburg«, als zwei Gitarrenkünstler und ein Gitarren-Geigen-Duo um die Wette musizierten.
Und wir holen den Pokal.
Schöner essen: Victor und der Naturfreundeteller für 6,30 Euro
|255| Liebe Leser, jetzt schließen Sie doch bitte die Augen (also erst am Ende des Satzes, sonst können Sie natürlich nicht lesen, was hier geschrieben steht) und versetzen sich zurück in die goldenen Zeiten des Fernsehens mit dem beliebten Showmaster Hans Rosenthal und stellen sich vor, Sie wären Kandidat seiner »Dalli Dalli«-Show.
Was fällt Ihnen zur Pfalz ein? – Dalli, Dalli: Helmut Kohl, Saumagen, die Walz aus der Pfalz, der Jäger aus Kurpfalz, der 1. FC Kaiserslautern, Saumagen, der Pfälzer Wald, Burg Trifels, Fritz Walter. Gut, Saumagen war doppelt, aber das ist gar nicht so falsch. Es gibt in der Pfalz nämlich nicht nur die »Fleischspezialität« Saumagen, sondern auch einen Kräuterlikör mit demselben Namen, der uns nach dem Essen angeboten wurde. Hausfaktotum Christian hatte uns den Schnaps an den Tisch gebracht. »Drei Saumage muss man mindeschtens trinke«, verkündete er strahlend in breitem Pälzisch. Die dialektkorrekte Aussprache kommt ohne das »f« aus.
Mit Christian tranken wir noch drei Weißherbstschorlen aus Halblitergläsern. Der Wein perlte rosa wie ein Dessertwein bei einem Damenball in den fünfziger Jahren. Christian war Experte für Ludwigshafener Punkmusik und die Naturfreunde. Die große Anzahl von Naturfreundehäusern in der Pfalz erklärt sich durch die Nähe der Arbeiterstädte Ludwigshafen, Kaiserslautern und Pirmasens. »Dort sind de Schlappeflicker zuhaus«, sagte Christian. Pirmasens lebt vom Schuhhandwerk. Dann setzte sich der Vorsitzende des Naturfreundehauses Elmstein, der Klaus, zu uns. »Wir Naturfreunde versuchen, die Arbeit für die Arbeiter der heutigen Arbeitswelt menschlicher zu machen«, erklärte er uns zu später Stunde. An der Essensausgabe der Küche, die gleichzeitig als Theke funktionierte, hatte ein Schild gestanden: »Geöffnet 9.00–21.00«. Ich weiß definitiv noch, dass |256| an diesem Pälzer Abend (Das »f« in »Pfälzer« entschwand auch bei uns Rheinländern) die Öffnungszeiten nicht eingehalten wurden. Es wurde spät, sehr spät. »Völker hört die Signale!« galt hier nicht
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