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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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für den Rheinsteig, fand aber keine. Na toll, das fing ja gut an. Angeblich waren doch alle Wegmarkierungen schon angebracht. Ich konnte nichts entdecken und hielt mich zunächst an den guten alten Rheinhöhenweg, der mit einem weißen »R« auf Holzrinde gekennzeichnet ist. Auf den Nonnenstromberg ging es steil bergan, und bergab ging ich im Nierenstein-muss-weg-Tempo. Mit weit ausholenden Schritten lief ich mehr, als dass ich wanderte. Bei jedem Schritt versuchte ich, meinem Körper einen gewaltigen Stoß zu versetzen. Eigentlich ein Unding meinen Gelenken gegenüber, aber die Operation wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Hinter dem Nonnenstromberg und dem Einkehrhaus namens »Einkehrhaus« verließ ich dann den Rheinhöhenweg und ging Richtung Rheintal. Irgendwann, so mein Kalkül, müsste ich auf den Rheinsteig treffen. Und nach einem Kilometer war es so weit. Ich sah das erste Mal einen weißen Schlängel auf blauer Emaille. Ein stilisiertes »R«, das zugleich einen Fluss darstellt.
    Drei Kilometer später kam ich außer Atem auf einen asphaltierten Weg. Andenkenläden und Bratwurstbuden. Ich wusste, jetzt geht es zum Drachenfels. Als Kind bin ich |243| etliche Male dort hinaufgelaufen oder auf einem Esel hochgeritten. Von Königswinter (bekannt aus dem großartigen Karnevalsschlager »Es war in Königswinter, nicht davor und nicht dahinter, als ich auf dich reingefallen bin«) fuhr auch eine Zahnradbahn, die ich noch nie benutzt hatte. Und auch heute nicht. Denn so ernst hatte ich mein Motto »Du musst wandern« noch nie genommen. Heute musste ich wandern, bis dieser verdammte Stein meinen Körper verlassen hatte, wenn es sein musste, bis tief in die Nacht.
     
    Das Ensemble aus Burgruine und Waschbeton oben auf dem Drachenfels ist entsetzlich. Das 70er-Jahre-Restaurant und die Aussichtsterrasse so groß wie der Rote Platz verleihen dem Ort den Charme einer Raketenabschussbasis. Hier war es am Rhein definitiv nicht schön. Als Kind hatte man mir erzählt, dass man von dort oben das Rheingold des Nibelungenschatzes am Grund des Flusses schimmern sehen konnte. Aber selbst als Kind wusste ich, dass es nur die glitzernden Sonnenstrahlen auf dem Wasser waren. Auch den Hörspielautomaten mit der Sage von Siegfried und dem Drachen gab es damals schon. Vor 35 Jahren kostete es einen Groschen, den blechern klingenden Ausführungen zu lauschen, heute einen Euro.
    Für das alles hatte ich aber keine Zeit. Weiter ging es im bekannten Tempo bergab nach Rhöndorf, dort, wo der einzig wahre Altkanzler Adenauer seine letzten Lebensjahre verbracht hat und auch gestorben ist. Es ist vermutlich kein Zufall, dass der Rheinsteig am Friedhof von Rhöndorf und dem Grab Adenauers vorbeiführt. Eine Pilgerstätte war dieser Ort aber nur für Männer wie meinen Großvater, der nach dem Krieg als eines der ersten CDU-Mitglieder in Köln die Mitgliedsnummer 006 führte.
     
    |244| Hinter dem Friedhof wurde der Weg unendlich öde. In langgezogenen Rechts-links-Kurven ging es einen breiten Waldwirtschaftsweg bergan. Das sollte der ach so toll geführte Rheinsteig sein? Unmöglich. Zumal ich keine Wegmarkierung mehr entdecken konnte. Da hatte ich wohl eine Abzweigung verpasst. Egal, immer weitergehen, ich würde den Rheinsteig schon wieder finden. Auf dem nächsten Berg, der Löwenburg, machte ich Rast. Der Berg ist mit 455 Metern der zweithöchste des Siebengebirges, immerhin 400 Meter über Rhein-Niveau. Ich aß im »Löwenburger Hof« zu Mittag und trank zwei Hefeweizen. Denn: »Neben dem Wandern nicht vergessen: viel trinken«, hatte mein Urologe mir eindringlich empfohlen, von alkoholfreien Getränken war nicht die Rede gewesen. Mit einem handelsüblichen kleinen Küchensieb ging ich auf die Toilette. Ich sollte, um den Nierenstein später analysieren zu können, ihn in einem Sieb auffangen. Unzählige Male hatte ich in den letzten 36 Stunden durch das Sieb gepinkelt.
    Es machte ein leises Plopp, und der Stein war da. Winzig, spitz und dunkel. Ich steckte ihn in mein Portemonnaie. Mein Körper produzierte nun derartig heftig Endorphine, dass der Drogenmix am Tropf nichts dagegen war. Bis nach Bad Honnef musste ich jetzt nicht mehr gehen. Auch das Wandertempo wurde wieder gemäßigter, und ich hatte sogar den richtigen Riecher: Ich fand den Rheinsteig und schwebte dem Rhein Richtung Rhöndorf entgegen. Ein Weg erster Kategorie mit Aussichten auf das Siebengebirge und den Rhein. Da es ein normaler Wochentag war, rechnete ich nicht mit

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