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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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zwingend.
     
    Am nächsten Morgen waren meine Beine schwer, und wir liefen nur bergauf. Die Temperaturen lagen knapp über dem Gefrierpunkt. Ich schwitzte trotzdem. Victor war außer Sichtweite enteilt. Sollte etwa der vierte oder fünfte Saumagen-Kräuterlikör schlecht gewesen sein? Ich war drei Kilometer nach Beginn der Tour völlig am Ende. Und es sollten noch 22 weitere Kilometer folgen, bis wir das Naturfreundehaus Finsterbrunnertal erreichen würden.
    Das Schlimmste am Hinterherlaufen ist, dass der Schnellere an Wegkreuzungen immer wartet, bis man herangekommen ist, und dann direkt weitergeht. Dabei hätte ich eine Pause nötiger gehabt als Victor. Das Knie schmerzte, und die Blase, die ich mir an der Ferse unterhalb der Achillessehne gelaufen hatte, tat höllisch weh. Vielleicht war Wandern doch nicht das Richtige für mich. Zumal in meinem Alter!
    Ich hatte mich immer über die Menschen amüsiert, die beim Überschreiten der 40 die große Lebenskrise bekommen. Quatsch, würde mir niemals passieren. Aber seit ich 40 Jahre alt bin, habe ich zunehmend das Gefühl, dass es körperlich bergab geht. Nach einer eingehenden Kernspintomographie hat mir mein Orthopäde dringend vom Joggen abgeraten. Er sagte nur: »Die Knöchel entsprechen in ihrem Verschleißstadium einem 40-Jährigen, der in seinem Leben zu viel gelaufen und zu schnell gewandert ist.« Na toll, ich dachte immer, Bewegung wäre das A und O für ein gesundes Leben. Ich hätte aber früher mit dem konsequenten Tragen von Einlagen beginnen sollen. Sie waren mir wegen meines Knick-, Senk-, Spreiz-, Klump- und Plattfußes mit extrem |257| hohem Spann verschrieben worden. Ich hatte sie aber meistens nach wenigen Wochen weggeworfen. Die Einlagen passten schlecht in die Schuhe, waren einfach unbequem. Jetzt, nach den niederschmetternden orthopädischen Befunden, hatte ich zwei schicke Einlagen bekommen, ein Paar für meine Straßenschuhe, ein Paar für meine Sportschuhe. Und diese biegsamen, federleichten Einlagen hatte ich in meine Wanderschuhe gelegt. Und das passte wohl nicht so recht zusammen, zumindest schob ich meine Knieschmerzen und die Blase auf diese Einlagen.
     
    Am Aussichtspunkt Kurfürstenstuhl wartete Victor zum wiederholten Mal auf mich. Durch den einsetzenden Regen war ich noch langsamer geworden. Der Boden war gefroren, und der Wanderweg verwandelte sich in eine Schlittschuhbahn . Wieder versperrten uns ein Flatterband und ein Hinweisdreieck mit Totenkopf den Weg.
    Doch wir pfiffen auf die Warnungen und gingen weiter. Wir hatten eh keine Alternative, da keine Umleitung angezeigt war. Schnell wurde klar, dass an diesem Tag im Wald kein Holz gefällt wurde, bei diesem Mistwetter ging kein vernünftiger Mensch vor die Tür. Aber, liebe Forstarbeiter, wenn ihr nicht arbeitet,  |258| könntet ihr doch auch eure überflüssigen Warnzeichen wegräumen, oder? Victor war inzwischen richtig sauer. »Weißt du, Manuel, ich weiß gar nicht, was du über diesen beschissenen Weg schreiben willst. Diese ganzen Mittelgebirge sehen doch alle gleich aus.« Und schon war er wieder weg, und ich humpelte und schlich hinterher.
    |257|
    Diesen Warnhinweis ignorierten wir. Bitte nicht nachmachen!
    |258| 20 Kilometer südlich von Kaiserslautern, an einer Bundesstraße, liegt das Mekka der Motorradfahrer: Johanniskreuz. Aber nur im Sommer. Als wir dort eintrafen, war noch nicht einmal ein Auto zu sehen. Weshalb auch die beiden Restaurants geschlossen hatten. Aber der Wandergott war mit uns. Eine einsame Rauchsäule stieg aus einem Kamin, keine 500 Meter entfernt. Selbst durch den Bindfadenregen konnten wir die Leuchtreklame erkennen: CAFE NICKELS. Eine Frau um die 40 stand hinter der Kuchentheke, und da es sie nicht zu stören schien, zogen wir nasse Jacken und Pullover aus und ließen sie in der Nähe des Holzofens trocknen. Wir waren die einzigen Gäste, und warum nichts los war, erfuhren wir von der Kellnerin. Wenige Kilometer vor Johanniskreuz war ein Auto explodiert, und man hatte die Bundesstraße gesperrt. Und andere Wanderer, ergänzte die Frau, waren bei diesem Wetter sowieso nicht unterwegs. Das Radio meldete Schneefall in Lagen über 500 Meter. Also, Herrschaften, wir waren hier weit über 500 Meter, und es regnete!
    Langsam wurde uns warm, und damit wurde es auch immer schwerer, sich von diesem gemütlichen Ort loszureißen. Victor wollte ein Taxi zum Naturfreundehaus bestellen. Das ging natürlich nicht, da es gegen meine Wanderehre verstoßen

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