Gesammelte Wanderabenteuer
hatte an diesem Ort ein mönchischer Einsiedler gelebt, um den Pilgern an der Strecke Aachen-Trier mit einer Glocke den Weg durch den Nebel zu weisen. Später wurden hier drei Bauernhöfe erbaut und bis 1971 bewohnt.
Wir waren inzwischen über drei Stunden unterwegs, und es wurde wirklich Zeit für die Mittagspause. Die trockene und komfortabel geräumige Blockhütte war allerdings besetzt. Drei holländische Wanderer hatten in der Hütte übernachtet. Nun putzten sie sich schnell die Zähne und packten ihre überdimensionierten Rucksäcke. Aber mal unter uns: Was sind das denn bitte schön für Wanderer, die um 13 Uhr zu ihrer nächsten Tagesetappe aufbrechen? So viel kann man am Vorabend gar nicht gesoffen haben, dass man erst so spät in die Puschen kommt.
In der Hütte verzehrte ich meine beiden Salamibrötchen, und Markus und Susanne gaben mir ein hartgekochtes Ei ab. Zum Nachtisch wurde leckere Kölner Karnevalsschokolade gereicht. Und als Digestif gab es einen Kräuterbitter. Der große Vorsitzende der Eifelverein-Ortsgruppe Roetgen, Manfred, hatte ein paar Plastikschnapsgläschen mitgenommen und spendierte original Venn-Schnaps, hergestellt aus der Wermut-Pflanze.
|340| Feuchte Natur, so weit man blicken und spüren konnte. Hier gab es in einem Umkreis von zehn Kilometern keine bewohnten Siedlungen, nur Natur. Endlich durften wir direkt ins Moor. Keine Vogelbrut und keine Brandgefahr. Im Sommer darf bei großer Trockenheit keiner mehr rein. Rote Fahnen markieren die Sperrgebiete, so wie an Nord- und Ostsee bei aufgezogenem roten Ball niemand ins Meer darf. Um eventuelle Brandherde zu kontrollieren, hat die belgische Forstverwaltung riesige Wachtürme aufgestellt. Von dort aus wird beobachtet, ob sich alle Wanderer an die Verbote halten. Bei Nichtbeachtung werden hohe Geldstrafen verhängt. Geschossen wird nicht, auch nicht in Zone D.
Schmale Holzstege führten über eine wasserbedeckte Fläche. Auf den glatten, 30 Zentimeter breiten Bohlenwegen musste man höllisch aufpassen, um nicht abzurutschen. Rings um die Holzstege gurgelte und sprudelte es. Susanne sagte, dass sie noch nie solche Wassermassen im Venn erlebt |341| hätte. Schon an normalen Tagen ist es sehr nass im Venn. Heute glich die Moorwanderung einer Wattwanderung.
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Der Sturz war nicht so lustig, wie es aussieht. Tiefe Fleischwunde, große Schmerzen.
|341| Nach der Holzstegpassage ging es ungefähr drei Kilometer über Forstwege und breite Waldschneisen zu einem weiteren Moorgebiet. Dort hatte Guido einen Schwächeanfall. Der Vorsitzende Manfred berichtete mir, dass Guido wohl schon länger unter Herzrhythmusstörungen leide. Er wäre aber noch am vorherigen Tag beim Arzt gewesen, und der hätte keine Einwände gegen die Wanderung gehabt. Guido sah gar nicht gut aus, und es wurde in Roetgen angerufen, damit ein Nachbar ihn mit dem Auto abholen komme. Wir warteten, und bevor Guido in das Fahrzeug einstieg, konnte er schon wieder lachen. »Schöne Scheiße, was?«, sagte er und schüttelte mir zum Abschied kräftig die Hand.
Wahrscheinlich ist ein solcher Zwischenfall bei einer Gruppenwanderung nicht ungewöhnlich. Je größer die Gruppe ist, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Unvorhergesehenes und auch Dramatisches passiert. Ein Sturz, und jemand kann nicht mehr weitergehen. Oder Sonnenstich, Verbrennungen, Allergieschocks, Orientierungslosigkeit und Demenz. Mitwanderer können einfach verlorengehen. Irgendwo müssen die Moorleichen ja herkommen.
Langsam näherte sich die Wanderung ihrem Ende, an Feldern vorbei, wo früher Torf gestochen wurde, liefen wir zu einem Wanderparkplatz. Ein Reisebus holte uns ab und fuhr uns zurück nach Roetgen. Ganz werde ich den Verdacht nicht los, dass man mich als gefürchteten Rundwanderwegekritiker mit dem Busservice glücklich machen wollte. In einer Gruppe wandert es sich eher schlecht inkognito. Man erzählte mir, dass man eigentlich Rundwanderwege bevorzuge, um wieder bei den Autos anzulangen, und mit |342| öffentlichen Verkehrsmitteln war im deutsch-belgischen Grenzgebiet kaum eine Streckenwanderung zu planen.
Aus verschiedenen Gründen hatte ich die Wanderung sehr genossen. Im Venn herrscht absolutes Hundeverbot. Besonders stolz war ich, dass ich keine nassen Füße hatte. Auf der Hinfahrt hatten Susanne und Markus noch gespottet: »Mit Halbschuhen ins Venn, im März, man glaubt es nicht.« Aber meine neuen Wanderhalbschuhe waren dicht, und ich hatte mir
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