Gesammelte Wanderabenteuer
Bergrücken gemeint gewesen, den wir an diesem Tag durchwandert hatten. Aber ob man den ein oder anderen umgestürzten Baumstamm als »Urwald« bezeichnen muss? Ich weiß nicht. Man hätte sich schon gewünscht, dass ein Wanderweg auch mal durch das Unterholz führt und nicht an ihm vorbei. Und wenn ich mich im Hainich umsah, musste ich zugeben, dass ich schon vielen Wanderwegen unrecht getan hatte. Vielleicht wäre es in Deutschlands Mitte schlauer gewesen, erst einmal ein für Wanderer lustvolles Wegenetz zu erstellen und dann markige Marketingsprüche von der Urwüchsigkeit der zu erwartenden Natur zu entwerfen. Für Radwanderer sind die Wege ganz nett, aber zu Fuß sind sie eine Qual. Ein gnadenloserer Wanderkritiker, als ich es bin, würde jetzt einfach sagen: Der Hainich ist grauenhaft, der Hainich ist ein Flop. Das wäre aber ungerecht. Wenn man zufällig in der Nähe ist, sollte man dem Baumkronenpfad einen kurzen Besuch abstatten. Dort kann man auch mit dem Auto hinfahren, und er ist einen schönen Tagesausflug wert. Aber passionierte Streckenwanderer sollten vom Hainich nicht zu viel erwarten.
|329| Aufführungslänge
15 Kilometer
Aufführungsdauer
4 Stunden, 48 Minuten mit einer 44-minütigen Pause
Programmheft
»Südliches Eichsfeld, Hainich, Werratal«, 1:50.000. Eine Karte, auf der alle Sehenswürdigkeiten verzeichnet sind, mit der man sich nicht verlaufen kann.
|330|
Hohes Venn
|331| Mit dem Eifelverein im Hohen Venn
EIN TRAGIKOMISCHES SCHAUSPIEL
Personen
Susanne
Mitglied im Eifelverein Roetgen
Markus
Ihr Mann und mein bester Freund
Bruno
Der Belgier
Manfred
Der große Vorsitzende
Dieter
Diplom-Naturführer
Petra
Medienwartin des Eifelvereins
Guido
Der Tapfere
Peter und Christine
Die Luftikusse
Drei Holländer
Eine Geisterfahrerin
Schauplatz ist das Hohe Venn, die Zeit März 2006.
In den vergangenen Jahrhunderten hat die Sozialisation des »Wanderers« einige Metamorphosen durchlebt, und diese Entwicklung ist bis heute nicht abgeschlossen. Der romantische Wanderer im ausgehenden 18. Jahrhundert, der erste Genusswanderer, war ein Einzelner, der Ego und die göttliche |332| Natur zu verbinden versuchte. Diese Form des Wanderns setzte sich im 19. Jahrhundert weitgehend durch. Das 20. Jahrhundert sollte das Jahrhundert der Gruppenwanderer werden. Die Wandervögel entdeckten den Herdentrieb. Die große Gruppe, die Gemeinschaft war Quelle ihres Wandervergnügens. Zusammen sang man und erlebte gemeinsam die Natur. Von 1950 bis in die späten 70er Jahre wurde vornehmlich im Kreis der trauten Familie gewandert. Heute geht der Trend wieder in Richtung Vereinzelung: Man trifft den Wanderer allein oder in kleineren Gruppen, bestehend aus guten Freunden oder – entsprechend der demographischen Entwicklung – der kleiner gewordenen Familie. Die Gruppenwanderung befindet sich wandersoziologisch betrachtet auf dem Rückzug. Aber es gibt sie natürlich noch, besonders in den großen Mittelgebirgsvereinen.
Mit dieser Tradition ist Susanne aufgewachsen, die Frau meines besten Freundes Markus. Seit fast 30 Jahren ist sie Mitglied des Eifelvereins. Schon mit 13 Jahren war sie in der Jugendgruppe ihres Heimatortes Roetgen, südlich von Aachen, aktiv. Roetgen (gesprochen Rötchen wie Brötchen ohne »B«) liegt an der Grenze zu Belgien.
Susannes Jugendgruppe schneiderte vor Karneval Kostüme, nach Karneval wurden die Zelte für die traditionelle Sommerfahrt nach Frankreich geflickt und vor Weihnachten für den Adventsbasar gebastelt. Gewandert wurde wenig. Nur drei Wandertouren pro Jahr waren vorgeschrieben. Meine eigene Zeit in der Jugendgruppe der Katholischen Studierenden Jugend habe ich auch eher mit Partys, Spielen und Fußball verbracht, für die Belange des Glaubens blieb da nicht mehr viel Zeit. Für Susanne, mich und andere unserer Jahrgänge war es einfach normal, wöchentlich in eine Jugendgruppe zu gehen.
Susanne war immer noch Mitglied im Eifelverein Roetgen. |333| Über ihre Kontakte hatte sie für uns eine Tour organisiert: eine geführte Wanderung durch das Hohe Venn.
Ende März, an einem Sonntagmorgen, holten mich Susanne und Markus mit dem Auto ab. Für die meisten Menschen wohl das Selbstverständlichste der Welt, ich allerdings fahre sonst nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und wahrscheinlich tue ich gut daran, denn wie gefährlich Autofahren ist, stellte ich fest, als kurz hinter dem Kreuz Aachen eine Geisterfahrerin auftauchte. Die entgegenkommenden
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