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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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Scheinwerfer hatten mich irritiert. Ich kannte die Warnmeldungen im Radio für diese Fälle, doch erlebt hatte ich so was noch nie. Nun gut, die Autobahn war sehr leer, und die junge Frau hatte sich wohl gedacht, es wäre angebracht, auf dem Standstreifen gegen die Fahrtrichtung zu fahren. Als alter Psychologe wusste ich, was passiert war, als ich einige 100 Meter weiter das belgische Staatswappen sah. Die junge Frau hatte sich so erschrocken, schon in Belgien zu sein, dass sie auf der Stelle kehrtmachte: Da will ich nicht hin!
     
    Die Geisterfahrerin war schon ungewöhnlich gewesen, wirklich beunruhigend fand ich aber etwas anderes: An diesem Morgen war ich zu einer Wanderung ins Ungewisse aufgebrochen. In den letzten Jahren hatte ich sämtliche Wanderungen stets selbst geplant. Heute war ich ohne Karte und ohne einen blassen Schimmer, wohin es gehen sollte, unterwegs.
    Auf dem Roetgener Marktplatz trafen wir bei bedecktem Himmel 18 Wanderfreunde zwischen 18 und 72 Jahren. Susanne kannte alle mit Vornamen und stellte mich vor, da ich der einzige »Gastwanderer« war. Schon kurz nach Beginn der Wanderung erreichten wir belgisches Gebiet, den an Roetgen angrenzenden Ort Raeren (gesprochen: Raren). |334| An dieser grünen Grenze war viele Jahrzehnte Schmuggel ein großes Thema gewesen. In Zeiten eines vereinten Europas war das lange vorbei. Die gesamte Gruppe ging auf einem schmalen Pfad hintereinander Richtung Westen an der Weser entlang und später weiter auf dem Grat des Weserbergs. Weser, Weserbergland? Hatten wir uns verlaufen? Nein, der Berg und der Fluss haben natürlich nichts mit dem Strom zu tun, der durch Hameln und Bremen fließt und in die Nordsee mündet.
     
    Von Petra, einer energischen Dame in den Fünfzigern und Medienwartin des gesamten Eifelvereins (im Eifelverein wird alles gewartet, die Wege und auch die Medien), erfuhr ich, dass der Verein 162 Ortsgruppen mit insgesamt 30.000 Mitgliedern hat. Sie selbst war Wanderführerin in der Ortsgruppe Roetgen. Jedes Jahr werden zwischen 20 und 25 Wanderungen im Umkreis von 30 Kilometern veranstaltet. Die meisten Wanderungen sind Halbtagswanderungen von acht bis zehn Kilometer Länge. Damit gerade ältere Mitwanderer nicht überfordert würden, erklärte Petra. Der Altersschnitt an diesem Tag lag bei ungefähr 60 Jahren und war damit für eine Wanderung des Eifelvereins, wie mir versichert wurde, außerordentlich niedrig. Wer die meisten Veranstaltungen (nicht Kilometer) im Jahr mitgemacht hat, wird geehrt. Die drei fleißigsten Wanderer bekommen bei der Adventsfeier einen Printenmann, die regionale Spezialität.
    Petra hatte mein erstes Wanderbuch gelesen und war mit meinem donquichottesken Kampf gegen die immer beliebter werdenden Wanderstöcke nicht einverstanden. Ich würde übersehen, sagte Petra, dass mit zunehmendem Alter auch Knie-, Gelenk- und Hüftschmerzen häufiger würden und Stöcke dann eine große Hilfe seien. Nun gut, mit verschreibungspflichtigen Wanderstöcken bin ich einverstanden.
     
    |335| Nach der Weser folgten wir dem Eschbach. Es ging aufwärts dem Venn entgegen, meist über enge Waldpfade, direkt am Ufer des reißenden Bachs. Seit drei Tagen hatte der Winter sich verabschiedet, und das Schmelzwasser ließ den Wasserpegel steigen. Zu Beginn der Wanderung hatte ich mich eher im hinteren Teil des Wanderfeldes aufgehalten, nun lief ich mit Bruno, dem Belgier, voran. Bruno erzählte mir stolz von »seinem« Königreich und davon, dass das Venn-Gebiet lange zu den spanischen Niederlanden gehört hatte. Selbst ein Ortsteil von Raeren heißt bis heute »Spanisch«. Als dann die Niederlande an Österreich fielen, kam das Venn-Gebiet zu Belgien.
     
    Naturgemäß gibt es bei einer Gruppenwanderung unterschiedliche Gehgeschwindigkeiten. Immer wieder schießen forsche Wanderer über das Ziel hinaus und verpassen so die |336| geplante Wegabzweigung. Selber schuld, denn wenn man auf diese Art und Weise verlorengeht, muss man sich auf eigene Faust in die Heimat durchschlagen. Ohne Gruppe. Und auf die Nachzügler, auf die muss man immer warten. Man kann davon ausgehen, dass man bei einer Gruppenwanderung ungefähr alle 1.000 Meter stehenbleibt, damit sich die gesamte Gruppe wieder vereint. Das dauert durchschnittlich handgestoppte 180 Sekunden und versaut einem gründlich die Wanderdurchschnittsgeschwindigkeit. Bruno versicherte mir aber, dass nur erfahrene Wanderer an diesem Tag dabei wären, die sogenannten »Fußlahmen« hätte man zu Hause

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