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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
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einen langgezogenen, unheimlichen Ton … Er klang, als kratzten Teufel mit schartigen Messern über eine sündige Seele. O Gott! Aber nein, es war nur die verrostete Luke gewesen, die sich quietschend geöffnet hatte … Also nein, wahrhaftig, sogar der Schweiß ist mir ausgebrochen. Maxim hat die Luke geöffnet, also wird er gleich herausklettern … Nein, er kommt doch nicht …
    Einige Minuten lang reckte Gai den Hals, spitzte die Ohren und spähte zu dem Submarine hinüber. Stille. Die gleiche schauerliche Stille wie zuvor, ja, noch schauerlicher als vor dem Rostgeheul. Womöglich war die Luke nicht geöffnet, sondern zugeschlagen worden? Oder sie war von selbst zugefallen? Angststarren Auges sah Gai folgendes Bild vor sich:
Eine schwere Eisentür fällt hinter Maxim ins Schloss, wie von selbst, und dann schiebt sich ein schwerer Riegel davor. Gai leckte über seine trockenen Lippen, schluckte, obwohl er kein Tröpfchen Speichel mehr im Mund hatte, und schrie: »He, Mak!« Aber es war gar kein Schrei, sondern nur ein Fiepen. Gott, wäre wenigstens ein Laut zu hören! »He, he!«, rief er verzweifelt. »E-e …«, gaben die Dünen finster zurück, und wieder wurde alles still.
    Absolut still. Zum Schreien hatte Gai keine Kraft mehr.
    Ohne den Blick von dem Submarine zu wenden, tastete Gai nach der MP, entsicherte sie mit zitternden Fingern und jagte einen Schuss in die Bucht. Es knallte kurz und kraftlos, wie durch Watte. Aus der glatten Wasseroberfläche spritzten kleine Fontänen hoch, Kreise liefen auseinander. Gai hob den Lauf etwas höher und drückte noch einmal ab. Dann hörte er etwas: Die Kugeln hämmerten auf Metall, Querschläger kreischten, das Echo hallte. Und - nichts. Absolut nichts. Kein Laut, als wäre er allein, schon immer allein gewesen. Als hätte es ihn auf rätselhafte Weise hierherverschlagen, als wäre er im Fieberwahn an diesen unbelebten Ort geraten und könnte nun nicht mehr aufwachen und zur Besinnung kommen. Und müsste für immer allein hierbleiben.
    Vollkommen außer sich vor Angst, ging Gai - so wie er war, mit einem Stiefel - ins Wasser, anfangs langsam, dann immer schneller, schließlich rannte er, zog die Beine nach oben, bis zum Gürtel schon im Wasser, schluchzte laut und schimpfte vor sich hin. Der rostige Koloss rückte näher. Mal schleppte sich Gai vorwärts, das Wasser mit den Armen vor sich wegschaufelnd, mal stürzte er sich ins Wasser und schwamm. Er erreichte das Schiff, versuchte hochzuklettern, schaffte es aber nicht, schwamm dann um das Heck herum, klammerte sich an den Leinen fest und zog sich auf Deck. Dabei stieß er immer wieder gegen die rostige Bordwand, so dass die Haut an Armen und Beinen aufriss und abschürfte.
Tränenüberströmt hielt er inne. Ihm war völlig klar, dass dies sein Ende bedeutete. »He - he!«, rief er. Dann versagte ihm die Stimme.
    Stille.
    Das Deck war leer. An den durchlöcherten, rostigen Wänden klebten trockene Wasserpflanzen - was aussah, als sei das Metall von filzigem Haar überzogen. Der Bugaufbau hing wie ein großer Pilz über Gais Kopf, und seitlich klaffte ein breiter Riss in der Panzerung. Gai lief zur Rückseite des Aufbaus und entdeckte die noch feuchten Eisenbügel, die nach oben zur Luke führten. Er warf sich die Maschinenpistole über die Schulter und stieg hinauf. Es dauerte lange; eine halbe Ewigkeit stieg er in dieser bedrückenden Stille seinem unvermeidlichen, ewigen Tod entgegen. Er kletterte bis ganz nach oben und verharrte dort auf allen vieren. Das Ungeheuer erwartete ihn schon - mit weit offenem, wohl seit hundert Jahren nicht mehr geschlossenem Schlund, dessen Scharniere schon wieder Rost angesetzt hatten: Bitte näher zu treten! Gai kroch zur Luke und blickte ins Dunkel hinab. In seinem Kopf drehte sich alles, ihm wurde übel. Aus dem eisernen Rachen quoll die Stille wie eine kompakte Masse hervor - Jahr um Jahr angestaute, modrige Stille. Plötzlich stellte Gai sich vor, wie dort, in dieser gelben, der Fäulnis anheimgefallenen Welt, und von der tonnenschweren Stille fast erdrückt, sein Freund Mak kämpfte, allein gegen alle, wie er mit letzter Kraft um sein Leben rang, wie er rief: »Gai! Gai!« Und wie die Stille lächelnd seinen Ruf verschluckte und sich wieder auf ihn wälzte, ihn unter sich erdrückte, würgte, zerquetschte. Gai konnte es nicht mehr ertragen und kletterte in die Luke.
    Er weinte, schluchzte, beeilte sich, verlor aber dann den Halt und stürzte polternd einige Meter in die Tiefe.

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