Gesammelte Werke 1
untere Gesichtshälfte von einer weißen Maske verdeckt … ein Haufen abgeschnittener Köpfe, der Kerl stochert mit einem Spazierstock in dem Haufen. Hier lächelt er … Eine Panoramaaufnahme: das Ufer, vier brennende Panzer auf den Dünen, im Vordergrund zwei kleine schwarze Gestalten mit erhobenen Armen. Es reichte. Gai schlug das Album zu und schleuderte es von sich. Einige Sekunden saß er still, dann warf er fluchend alle Alben auf den Boden.
»Mit denen willst du dich einigen?!«, schrie er Maxim an, der ihm den Rücken zuwandte. »Die willst du zu uns bringen?
Diesen Henker?« Er stürzte zu den Alben und trampelte mit dem Fuß darauf.
Maxim schaltete das Radio ab.
»Spiel nicht verrückt«, sagte er. »Ich will überhaupt nichts mehr. Und du hast keinen Grund, mich anzubrüllen. Ihr seid selbst schuld, habt eure Chancen verschlafen, Massaraksch, habt alles ruiniert, ausgeraubt, seid verroht wie Vieh! Was soll man jetzt mit euch machen?« Er stand plötzlich vor Gai, packte ihn am Schlafittchen. »Was soll ich jetzt mit euch tun?«, fauchte er. »Was? Was? Du weißt es nicht? Rede doch!«
Gai schwieg und versuchte zaghaft, sich aus dem Griff zu lösen. Maxim ließ ihn los.
»Ich kann’s dir sagen«, fuhr er düster fort. »Keinen darf man hierherbringen. Überall sind Bestien. Die müsste man jagen.« Er hob eins der Alben vom Boden auf und schlug heftig die Seiten um. »Was für eine Welt habt ihr versaut!«, sagte er. »Was für eine Welt! Sieh her!«
Gai schielte über Maks Arm. Diesmal erblickte er keine Gräuel, sondern Landschaftsaufnahmen aus verschiedenen Gegenden. Farbfotos von erstaunlicher Schärfe und Schönheit: blaue Buchten, gesäumt von üppigem Grün, strahlend weiße Städte am Meer, ein Wasserfall in einer Bergschlucht, eine erstklassige Autobahn mit einem Strom verschiedenfarbener Wagen, irgendwelche alten Schlösser, Schneegipfel über den Wolken, jemand, der auf Skiern fröhlich hangabwärts gleitet, lachende Mädchen, die in der Brandung spielen.
»Wo ist das alles geblieben?«, fragte Maxim. »Was habt ihr damit gemacht, ihr verfluchten Kinder von verfluchten Vätern? In Stücke geschlagen, verkommen lassen, gegen Eisen eingetauscht, Menschenskind …« Er legte das Album auf den Tisch. »Gehen wir.«
Wütend stemmte er sich gegen die Tür, stieß sie weit auf - sie knarzte und kreischte - und stürmte durch den Gang.
Auf Deck fragte er: »Hast du Hunger?«
»Hm, ja«, antwortete Gai.
»Gut«, sagte Maxim. »Gleich werden wir essen. Schwimmen wir los.«
Gai erreichte als Erster das Ufer, streifte sofort seinen Stiefel ab, zog sich aus und breitete die Sachen zum Trocknen auf den Sand. Maxim blieb noch im Wasser, und Gai beobachtete ihn besorgt: Allzu tief tauchte sein Freund, zu lange blieb er unter Wasser. Das durfte man nicht, es war gefährlich, wie konnte ihm die Atemluft reichen? Endlich kam Mak heraus: Er zog einen großen, wuchtigen Fisch an den Kiemen hinter sich her. Der guckte verdattert, als könne er nicht fassen, dass ihn jemand mit bloßen Händen gefangen hatte. Maxim schleuderte ihn auf den Sand. »Ich denke, der ist richtig, wenig radioaktiv. Bestimmt auch ein Mutant. Schluck deine Tabletten, ich mache ihn inzwischen zurecht. Man kann ihn roh essen, ich bring’s dir bei - Sashimi heißt das. Kennst du nicht? Gib mal das Messer her.«
Dann, als sie sich satt gegessen hatten - nichts dran auszusetzen, war durchaus genießbar - und nackt im heißen Sand lagen, fragte Maxim nach langem Schweigen: »Wenn wir einer Patrouille in die Arme gelaufen wären und uns ergeben hätten, wohin hätten sie uns gebracht?«
»Wie - ›wohin‹? Dich dahin, wo du deine Strafe zu verbüßen hast, mich an meinen Dienstort … Wieso?«
»Ist das sicher?«
»Sicherer geht’s nicht. Die entsprechende Instruktion stammt vom Generalkommandeur persönlich. Warum fragst du?«
»Jetzt gehen wir die Gardisten suchen«, sagte Maxim.
»Um einen Panzer zu kapern?«
»Nein. Wir nehmen deine Legende: Du wurdest von Missgeburten geraubt, und der Zögling hat dich gerettet.«
»Wir ergeben uns?« Gai setzte sich auf. »Wie denn das? Ich auch? Ich soll zurück unter die Strahlen?«
Maxim schwieg.
»Dann werde ich ja wieder zur Marionette«, flüsterte Gai hilflos.
»Nein«, sagte Maxim. »Das heißt ja, natürlich, aber es wird nicht mehr so sein wie früher. Du wirst zwar ein bisschen zur Marionette, aber jetzt wirst du an etwas anderes, an das Richtige glauben. Das ist
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