Gesammelte Werke 1
davon überzeugt, Schlaukopf? Ach, Sie zweifeln? Sie zweifeln ständig, Schlaukopf, das steckt eben in Ihnen, Sie Prachtexemplar … Versuchen wir, Ihre Zweifel zu zerstreuen. Haben Sie von einem gewissen Maxim Kammerer gehört? Tatsächlich,
Sie haben? Aber das kommt Ihnen nur so vor, Sie haben nie von ihm gehört, jetzt ist es das erste Mal. Und jetzt, bitte sehr, folgen Sie meinen Ausführungen und bilden Sie sich ein objektives, unvoreingenommenes Urteil über ihn. Ihre sachliche Meinung bedeutet mir sehr viel, Schlaukopf, wissen Sie, von ihr hängt nun ab, ob meine Haut heil und ganz bleibt. Meine blasse, blaugeäderte, mir ach so teure Haut.
Er aß das letzte Gebäck und trank in einem Zug die Milch aus.
Dann sagte er laut: »Fangen wir an.«
Er schlug die Mappe auf. Die Vergangenheit dieses Menschen liegt im Dunkeln. Natürlich ist das kein sonderlich guter Anfang für eine Bekanntschaft. Aber wir beide wissen ja zum Glück nicht nur, wie man von der Vergangenheit auf die Gegenwart, sondern auch, wie man von der Gegenwart auf die Vergangenheit schließt. Und wenn wir etwas über die Vergangenheit unseres Mak wissen müssen, dann rekonstruieren wir sie eben aus der Gegenwart. Extrapolation nennt man das. Unser Mak beginnt seine Gegenwart damit, dass er aus dem Straflager flieht. Ganz plötzlich. Unerwartet. Genau in dem Augenblick, da der Wanderer und ich die Hände nach ihm ausstrecken. Hier, der panische Bericht des Generalkommandanten - das klassische Gezeter eines Idioten, der Unsinn verzapft hat und jetzt seine Strafe fürchtet. Er sei vollkommen unschuldig, habe immer nach Vorschrift gehandelt und nicht gewusst, dass das Objekt sich freiwillig zu den Pionieren, den Todeskandidaten, gemeldet hätte. Das Objekt aber habe es getan und sei im Minenfeld umgekommen. Er hat es nicht gewusst. Der Wanderer und ich haben es auch nicht gewusst. Aber man hätte es wissen müssen. Das Objekt ist unberechenbar, von ihm hatten Sie Derartiges zu erwarten, Herr Schlaukopf. Ja, damals war ich verblüfft, inzwischen aber wissen wir, was sich ereignet hat: Jemand hatte unserem Mak die Funktion der Türme erklärt, so dass er beschloss, das Land der
Unbekannten Väter zu verlassen und sich in Richtung Süden davonzumachen, nicht aber, ohne vorher seinen Tod vorzutäuschen. Der Staatsanwalt senkte den Kopf auf die Arme und wischte sich kraftlos über die Stirn. Damit hat alles angefangen. Das war der erste in der Serie meiner Fehler: Ich habe geglaubt, er ist tot. Wie auch nicht? Welcher normale Mensch flieht schon in den Süden! Jeder hätte es geglaubt. Aber der Wanderer tat es nicht.
Der Staatsanwalt griff zum nächsten Bericht. Ach, dieser Wanderer! Dieses Genie … So hätte ich mich verhalten sollen, so wie er. Ich jedoch war mir sicher, dass Mak umgekommen ist. Süden bleibt nun mal Süden. Aber der Wanderer überschwemmte das ganze Flussgebiet mit seinen Agenten. Ach, der dicke Fank. Seinerzeit habe ich ihn nicht erwischt, ihn nicht an die Kandare nehmen können; der kahle Fettwanst ist mager geworden, während er durch das Land hetzte, schnüffelte und suchte. Sein »Huhn« ist an der Sechsten Trasse am Fieber verreckt; »Tapa das Hähnchen« haben die Bergbewohner geschnappt, und dann ist die Fünfundfünfzig - keine Ahnung, wer dahintersteckt - den Piraten an der Küste ins Netz gegangen. Vorher allerdings hatte sie noch melden können, dass Mak dort gewesen war, sich dann einer Patrouille gestellt hatte und in seine Kolonne zurückgeführt worden war.
So handeln Leute mit Köpfchen: Sie glauben nichts und schonen niemanden. Auch ich hätte mich so verhalten sollen - alle anderen Dinge liegen lassen und mich nur Mak widmen, denn ich hatte ja schon damals begriffen, was der für eine Kraft besitzt. Stattdessen habe ich mich mit Hampelmann angelegt und verloren, und dann habe ich mich auf diesen idiotischen Krieg eingelassen und auch verloren. Und jetzt würde ich wieder den Kürzeren ziehen, doch nun habe ich Glück: Mak ist in der Stadt aufgetaucht, in der Höhle des Löwen, Wanderer, und ich habe früher davon erfahren als der
Wanderer selbst. Ja, Wanderer, du Knorpelohr, jetzt hast du verspielt. Dass du aber auch gerade jetzt verreisen musstest! Und weißt du, es stört mich überhaupt nicht, dass ich wieder keine Ahnung habe, weshalb und wohin du gefahren bist. Du bist weg, und das ist gut so. Du hast dich natürlich bei allem auf Fank verlassen - und Fank hat dir auch Mak hierhergebracht -, aber jetzt liegt
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