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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
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Herren der Lage. Sie fuhren zwar in den Kampf, hielten aber weder Tarnung noch Deckung für notwendig. Stattdessen stellten sie die grelle Farbe, den hässlichen, fünf Meter hohen Buckel und das Fehlen jeglicher Kriegsausrüstung demonstrativ zur Schau. Wer ein solches Fahrzeug steuerte, wähnte sich in vollkommener Sicherheit. Aber darüber dachten sie gewiss nicht nach, sondern jagten einfach vorwärts. Mit ihren Strahlenpeitschen trieben sie die eiserne Herde vor sich her, die jetzt durch ein Inferno rollte, und vermutlich
wussten sie nicht einmal von den Strahlen, wie sie auch nichts davon wussten, dass diese auch sie selbst trafen … Maxim bemerkte, dass der äußere linke Emitter in die Passage einschwenkte, und schritt ihm entgegen, den Hügel hinab.
    Er ging hoch aufgerichtet. Ihm war klar, dass er die schwarzen Treiber würde gewaltsam aus ihren Eisenkisten reißen müssen, und er wollte es tun. Nie im Leben hatte er etwas so gewollt, wie nun diese Verbrecher in die Finger zu bekommen. Als er unten angelangt war, rollte das gelbe Fahrzeug direkt auf ihn zu und fixierte ihn aus den Periskopen. Der Gitterkegel schaukelte heftig, aber nicht im selben Rhythmus wie der Unterbau. Jetzt erkannte Maxim, dass sich auf der Spitze des Emitters eine silbrige Kugel wiegte, dicht gespickt mit langen blanken Nadeln.
    Sie dachten gar nicht daran zu halten. Maxim machte ihnen den Weg frei und ließ sie vorbeifahren. Dann lief er ein paar Meter nebenher und sprang auf die Panzerung.

FÜNFTER TEIL
    Erdenmensch

18
    Der Generalstaatsanwalt hatte einen leichten Schlaf, und das Summen des Telefons weckte ihn sofort. Ohne die Augen zu öffnen, griff er nach dem Hörer und sagte heiser: »Ich höre.«
    Als bäte er um Entschuldigung, säuselte der Referent: »Es ist sieben Uhr, Eure Exzellenz.«
    »Ja.« Der Staatsanwalt hielt die Augen noch immer geschlossen. »Ja. Danke.«
    Er schaltete das Licht ein, schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Einige Zeit saß er so, den Blick auf seine dürren bleichen Beine geheftet, und dachte traurig und erstaunt darüber nach, dass er, obwohl er nun schon auf die sechzig zuging, sich keines Tages entsinnen konnte, an dem man ihn hätte ausschlafen lassen. Immer hatte ihn jemand geweckt. Als er Rittmeister war, war es dieses Rindvieh von Offiziersbursche, der ihn nach den Besäufnissen aus dem Schlaf riss. Als er Vorsitzender des Sondergerichts war, trieb ihn dieser Dummkopf von Sekretär mit seinen nicht unterschriebenen Urteilen aus dem Bett. Als Gymnasiast wurde er von seiner Mutter geweckt, damit er zum Unterricht ging, und das war die scheußlichste Zeit, das schlimmste Erwachen. Und immer hatte es geheißen: Es muss sein! Es muss sein, Euer Wohlgeboren. Es muss sein, Herr Vorsitzender. Es muss sein, Söhnchen.
Und jetzt mahnte er sich selbst mit diesem »Es muss sein«. Er stand auf, warf sich den Morgenmantel über, netzte das Gesicht mit einer Handvoll Kölnischwasser und setzte sein Gebiss ein. Dann sah er in den Spiegel, rieb sich die Wangen, verzog gehässig das Gesicht und begab sich in sein Arbeitszimmer.
    Die warme Milch stand schon auf dem Tisch, und unter der gestärkten Serviette stand ein kleines Schälchen mit Salzgebäck. Beides war Medizin für ihn, doch bevor er sie nahm, trat er an den Safe, öffnete ihn, holte eine grüne Mappe heraus und legte sie neben sein Frühstück. Während er das knusprige Gebäck aß und die Milch dazu trank, sah er die Mappe genau durch - bis er sich davon überzeugt hatte, dass sie seit dem Vorabend von niemandem geöffnet worden war. Wie viel sich verändert hat, fuhr es ihm durch den Kopf. Nur drei Monate sind vergangen, und wie hat sich alles verändert. Unwillkürlich starrte er zu dem gelben Telefon hinüber, konnte sekundenlang den Blick nicht lösen. Das Telefon schwieg, es war leuchtend und schön wie ein buntes Spielzeug - und angsteinflößend wie eine tickende Bombe, die sich nicht entschärfen ließ …
    Krampfhaft und mit beiden Händen umklammerte der Staatsanwalt die grüne Mappe und schloss die Augen. Er spürte, wie die Angst in ihm hochstieg, und wollte sie schnell bezwingen. Nein, so ging das nicht: Er musste jetzt absolute Ruhe bewahren, kühl und nüchtern überlegen. Eine Wahl habe ich ohnehin nicht. Also muss ich’s riskieren. Ein Risiko, was soll’s. Das gab es immer und wird es immer geben, nur minimal muss man es halten. Und das werde ich tun. Ja, Massaraksch, minimal werde ich’s halten! Sie sind nicht

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