Gesammelte Werke 1
Arbeitsbericht Lew Abalkins umfasste vierundzwanzig Seiten; weitere fanden sich in der Mappe nicht. Das schien mir merkwürdig; daher nahm ich mir vor, zu gegebener Zeit darüber nachzudenken, warum sich von all den vielen Berichten eines professionellen Progressors nur zwei in der Mappe 07 befanden und - warum gerade diese?
Beide Berichte waren im Stil »Laborant« verfasst und ähnelten einem Schulaufsatz der Art »Wie ich meine Ferien bei den Großeltern verbrachte«. Es macht Spaß, solche Berichte zu schreiben - sie zu lesen aber ist eine ziemliche Tortur. Die Psychologen (die sich in den Stäben festgesetzt haben) verlangen, weniger objektive Angaben über Ereignisse und Tatsachen in die Berichte aufzunehmen, als vielmehr rein subjektive Empfindungen, persönliche Eindrücke und den Bewusstseinsstrom des Verfassers. Dieser wählt den Berichtsstil (»Laborant«, »General«, »Künstler«) jedoch nicht selbst, sondern er wird ihm aus bestimmten psychologischen (und geheimen) Erwägungen heraus vorgeschrieben … Fürwahr: Es gibt Lügen, es gibt schamlose Lügen und es gibt die Statistik. Aber, Freunde, lasst uns dabei die Psychologie nicht vergessen!
Ich bin kein Psychologe, jedenfalls nicht von Beruf - aber vielleicht war es trotzdem möglich, den Berichten etwas Nützliches über die Persönlichkeit Lew Abalkins zu entnehmen?
Während ich also den Inhalt der Mappe durchsah, stieß ich immer wieder auf ähnliche, ja, identische Dokumente, die mir rätselhaft waren: blaue Blätter mit grünem Rand aus relativ starkem Papier; in die linke obere Ecke war jeweils ein Monogramm eingeprägt, das einen chinesischen Drachen (oder war es ein Pterodaktylus?) darstellte. Auf jedem der Blätter stand mit Füller oder Filzstift, manchmal auch mit einem Elektrodenstift aus dem Labor, immer aber in der mir schon bekannten schwungvollen Handschrift: »Tristan 777«. Darunter das Datum und dieselbe verschnörkelte Unterschrift. Den Daten nach zu urteilen, waren seit dem Jahr’60 ungefähr alle drei Monate Blätter in die Mappe gelegt worden; sie machten jetzt etwa ein Viertel ihres Inhalts aus.
Weitere zweiundzwanzig Seiten nahm die Korrespondenz Abalkins mit seiner Führung ein. Und diese Korrespondenz gab meinen Gedanken eine neue Richtung.
Im Oktober’63 schickt Abalkin einen Bericht an die KomKon 1, in welchem er - in zunächst moderatem Ton - sein Befremden äußert, dass man die Operation »Kopfler im Weltraum« eingestellt habe, ohne ihn vorher zu konsultieren. Die Operation sei sehr erfolgreich gewesen und habe zahlreiche Perspektiven geboten.
Ich weiß nicht, welche Antwort er auf seinen Bericht erhalten hat, aber im November desselben Jahres schreibt er einen verzweifelten Brief an Komow und bittet ihn, die Operation »Kopfler im Weltraum« wiederaufzunehmen. Einen weiteren, nun schon sehr barschen Brief schreibt er an die KomKon: Er protestiert heftig dagegen, dass man ihn, Abalkin, auf einen Umschulungskursus schickt. (All das erledigt er aus irgendeinem Grund schriftlich und nicht in der üblichen Form.)
Wie die darauf folgenden Ereignisse zeigen, bleibt seine Korrespondenz ohne jede Wirkung: Abalkin wird zur Arbeit auf die Giganda beordert. Drei Jahre später, im November’66, schreibt er von der Pandora aus erneut an die KomKon und bittet darum, ihn zur Fortführung seiner Arbeit mit den Kopflern auf den Saraksch zu entsenden. Diesmal kommt man seiner Bitte nach und schickt ihn zurück auf den Saraksch - allerdings nicht an die Blaue Schlange, sondern als Untergrundkämpfer der Union nach Honti.
Während seines Umschulungskurses schreibt Abalkin noch zweimal, im Februar und im August’67, an die KomKon (an Bader und schließlich an Gorbowski persönlich) und weist darauf hin, wie unzweckmäßig es sei, ihn, einen Spezialisten für die Rasse der Kopfler, als Residenten einzusetzen. Der Ton seiner Briefe wird schärfer; den Brief an Gorbowski etwa kann ich nur als beleidigend bezeichnen. Ich wüsste zu gern, wie Leonid Andrejewitsch, diese Seele von Mensch, auf eine solche Eruption von Wut, Verachtung und Empörung reagiert hat.
Schon Resident in Honti, schickt Abalkin im Oktober’67 seinen letzten Brief an Komow; es ist ein detailliertes Konzept mit dem Ziel, den Kontakt mit den Kopflern voranzutreiben - durch den Austausch ständiger Missionen, die Beteiligung der Kopfler an tierpsychologischen Arbeiten auf der Erde u.v.a. Ich habe die Entwicklung in diesem Bereich nicht speziell verfolgt, habe
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