Gesammelte Werke 1
kenne deine beobachtenden Ärzte. Aber was ich nicht weiß: Wer braucht eigentlich
dieses Blatt Nr. 1, und wozu? Wenn jemand wissen wollte, wer Lew Abalkin ist, könnte er das Informatorium anrufen (ich rief das GGI an), den Namen oder die Codenummer eingeben (ich gab die Codenummer ein) und nach … eins und zwei und drei und … vier Sekunden alles erfahren, was ihm an Informationen über eine fremde Person rechtmäßig zusteht.
Bitte sehr: Abalkin, Lew, und so weiter, Codenummer, genetischer Code, geboren am Soundsovielten, Eltern (übrigens, warum waren auf Blatt Nr. 1 die Eltern nicht angegeben?): Abalkina, Stella Wladimirowna, und Zjurupa, Wjatscheslaw Borissowitsch, die Internatsschule in Syktywkar, der Lehrer, die Progressoren-Schule, der Ausbilder … Stimmt alles. Weiter. Progressor, Arbeit seit’60: Planet Saraksch. Hm. Nicht viel. Nur die offiziellen Daten. Es scheint, als habe sich Abalkin nicht mehr die Mühe machen wollen, seine Angaben weiterhin an den GGI-Dienst zu melden. Und was steht da? »Adresse auf der Erde: nicht registriert.«
Ich tippte eine neue Anfrage ein: »Unter welchen Adressen ist Codenummer soundso auf der Erde registriert gewesen?« Nach zwei Sekunden kam die Antwort: »Die letzte Adresse Abalkins auf der Erde ist die Progressoren-Schule Nr. 3 (Europa).« Auch ein interessanter Hinweis. Denn entweder ist Abalkin seit achtzehn Jahren kein einziges Mal auf der Erde gewesen, oder er ist äußerst menschenscheu, lässt sich nie auf der Erde registrieren und mag keine Angaben über sich machen. Beides ist natürlich denkbar, scheint mir aber doch ziemlich ungewöhnlich.
Das GGI speichert bekanntlich nur die Daten, die eine Person über sich mitteilen möchte. Was aber enthält das Blatt Nr. 1? Ich kann darauf nichts finden, was sich für Abalkin zu verheimlichen lohnte. Sicher, alles ist sehr detailliert aufgeführt, aber es fiele doch niemandem ein, sich wegen solcher Einzelheiten ans GGI zu wenden. Frage bei der KomKon 1
nach, schon erhältst du alle Informationen. Und was sie bei der KomKon nicht wissen, erfährt man, wenn man sich unter die Progressoren mischt - auf der Pandora zum Beispiel, wo sie rekonditioniert werden oder sich am Diamantenen Strand erholen, am Fuß der großartigsten Sanddünen im bewohnten Universum.
Egal, ist nicht so wichtig. Was ich allerdings noch immer nicht verstehe, ist, wozu man das Blatt Nr. 1 überhaupt braucht, noch dazu so ausführlich? Und wenn es schon so ausführlich ist, warum steht dann kein Wort über die Eltern darin? Stopp. Wahrscheinlich geht mich das wieder nichts an.
Warum aber hat sich Abalkin nach der Rückkehr auf die Erde nicht bei der KomKon gemeldet? Der psychische Zusammenbruch vielleicht? Ekel vor der eigenen Arbeit? Also: Ein Progressor am Rande eines psychischen Zusammenbruchs kehrt auf den Heimatplaneten zurück, den er seit mindestens achtzehn Jahren nicht mehr betreten hat. Wohin wendet er sich? Sicher nicht an seine Mutter, meine ich, das wäre in seinem Zustand unangebracht. Zudem sieht mir Abalkin nicht wie ein Waschlappen aus. Der Lehrer? Oder der Ausbilder? Möglich. Sogar wahrscheinlich. Sich ausweinen. Das kenne ich aus eigener Erfahrung. Wobei der Lehrer eher infrage kommt als der Ausbilder. Denn der Ausbilder ist ja doch in gewisser Weise ein Kollege; wir indes ekeln uns vor unserer Arbeit. Stopp. Stopp! Was ist denn mit mir los? Ich schaute auf die Uhr. Für zwei Dokumente hatte ich vierunddreißig Minuten gebraucht. Dabei hatte ich sie nicht einmal durchgearbeitet, sondern nur angesehen. Ich zwang mich zur Konzentration; aber dann wurde mir bewusst, dass ich gar keine Lust hatte darüber nachzudenken, wie ich Abalkin finden sollte. Es interessierte mich viel mehr, warum er so dringend gefunden werden musste. Ich ärgerte mich also maßlos über Seine Exzellenz, obwohl er mir sicher sämtliche Erklärungen gegeben hätte, wenn sie mir bei der Suche von Nutzen
gewesen wären. Hatte er mir also nicht erklärt, warum Abalkin gefunden werden musste, dann stand das Warum offensichtlich in keinerlei Beziehung zum Wie .
Und dann wurde mir noch etwas klar. Das heißt, ich hatte so ein Gefühl, einen Verdacht: dass nämlich diese ganze Mappe, all das viele Papier, das ganze vergilbte Geschreibsel mir nichts weiter bringen würde, außer vielleicht ein paar Namen - und eine Unmenge neuer Fragen, die aber alle nicht das Geringste damit zu tun hätten, wie ich Abalkin finden sollte.
1. JUNI’78
Kurz zum Inhalt der
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