Gesammelte Werke 1
aber den Eindruck, dass Abalkins Plan inzwischen umgesetzt wird. Wenn dem so ist, ergibt sich daraus eine paradoxe Situation: Der Plan wird verwirklicht, sein Initiator aber sitzt als Resident entweder in Honti oder im Inselimperium.
Abschließend betrachtet, hinterließ die Korrespondenz bei mir ein ungutes, ja, beklemmendes Gefühl. Gut, ich bin kein Spezialist für die Kopfler-Problematik und kann darüber schwerlich urteilen. Und es mag durchaus sein, dass Abalkins Plan trivial war und so große Worte wie »Initiator« hier völlig fehl am Platz sind. Aber es geht nicht allein darum! Der Junge ist der geborene Tierpsychologe. »Berufliche Neigungen: Tierpsychologie, Theater, Ethnolinguistik. Berufliche Angaben: Tierpsychologie, theoretische Xenologie …«
Trotzdem machen sie aus ihm einen Progressor. Es gibt zwar auch eine ganze Reihe von Progressoren, die sich intensiv mit Tierpsychologie befassen - etwa wenn sie mit den Leonidanern oder eben mit den Kopflern arbeiten. Aber nein, man zwingt den Jungen, als Resident und Mitglied einer Kampftruppe mit Humanoiden zu arbeiten. Und das, obwohl er sich fünf Jahre lang unüberhörbar bei der KomKon beschwert. Fünf Jahre lang brüllt er: »Was macht ihr mit mir?« Und dann wundern sie sich, wenn er psychisch zusammenbricht!
Gewiss, für den Beruf des Progressors ist eine eiserne, beinahe militärische Disziplin unerlässlich. Ein Progressor kann niemals tun, was er will, sondern nur, was ihm die KomKon befiehlt. Das ist sein Beruf. Und wahrscheinlich hat der Resident
Abalkin für die KomKon einen viel größeren Wert als der Tierpsychologe Abalkin. Aber dennoch wurde irgendwo in dieser Geschichte der Bogen überspannt, und es wäre gut, einmal mit Gorbowski oder mit Komow darüber zu reden. Was immer Abalkin angestellt haben mag (und etwas angestellt hat er offenbar) - ich bin auf seiner Seite.
Aber all das hat ganz sicher nichts mit meinem Auftrag zu tun …
Weiterhin fiel mir auf, dass in der Mappe einige Seiten fehlten: drei nummerierte Seiten nach Abalkins erstem Bericht, zwei Seiten nach dem zweiten Bericht und wieder zwei Seiten nach seinem letzten Brief an Komow. Aber ich beschloss, dem keine Bedeutung beizumessen.
1. JUNI’78
So gut wie alles über die möglichen Kontakte Lew Abalkins
Als Nächstes erstellte ich eine Liste von Personen, mit denen Abalkin auf der Erde vielleicht Kontakt aufnehmen würde. Es waren lediglich achtzehn Namen; von praktischem Interesse schienen mir davon aber nur sechs zu sein. Ich ordnete sie nach der Wahrscheinlichkeit, wie ich annahm, dass Abalkin sie aufsuchen würde. Es ergab sich folgendes Bild:
der Lehrer, Sergej Pawlowitsch Fedossejew
die Mutter, Stella Wladimirowna Abalkina
der Vater, Wjatscheslaw Borissowitsch Zjurupa
der Betreuer, Ernst Julius Horn
der beobachtende Arzt an der Progressoren-Schule,
Romuald Grăsescu
die beobachtende Ärztin der Internatsschule, Jadwiga
Michailowna Lekanowa.
In der zweiten Gruppe verblieben Kornej Jašmaa, der Kopfler Wepl, Jakob Vanderhoeze und fünf weitere Personen, hauptsächlich Progressoren. Leute wie Gorbowski, Bader und Komow hatte ich eher pro forma notiert: Befragen konnte ich sie nicht, schon allein deshalb, weil sie auf keinerlei Legende hereingefallen wären. Und Klartext sprechen durfte ich nicht - nicht einmal dann, wenn sie sich in dieser Angelegenheit selbst an mich gewandt hätten.
Innerhalb von zehn Minuten lieferte mir das Informatorium folgende, allerdings wenig ermutigende Daten:
Die Eltern Lew Abalkins existierten nicht - zumindest nicht im üblichen Sinne. Vielleicht gab es sie auch überhaupt nicht: Vor etwa vierzig Jahren waren Stella Wladimirowna und Wjatscheslaw Borissowitsch als Mitglieder der Gruppe »Jormala« mit dem Raumschiff »Finsternis« in das Schwarze Loch EN 200 056 eingedrungen. Eine Verbindung zu ihnen gab es nicht und konnte es nach den gegenwärtigen Vorstellungen auch nicht geben. Lew Abalkin erwies sich als ihr postumes Kind - wobei das Wort »postum« in diesem Zusammenhang nicht ganz korrekt ist. Denn es ist durchaus möglich, dass die Eltern noch leben und nach unserer Zeitrechnung noch Millionen Jahre leben werden. Aus der Sicht eines Erdenmenschen aber sind sie tot. Stella Wladimirowna und Wjatscheslaw Borissowitsch hatten keine Kinder, hinterließen jedoch wie viele andere Ehepaare in vergleichbarer Situation eine befruchtete Eizelle im Institut des Lebens. Als feststand, dass das Eindringen in das Schwarze Loch gelungen war
Weitere Kostenlose Bücher