Gesammelte Werke 1
Orientierungsorgan, und wenn man schon adäquat übersetzen wollte, käme man nicht auf Schwanz, sondern auf Kompass … ›O tausendkompässige Bäume!‹ Aber ich sehe, Sie sind kein Folklorist …«
»Nein«, gestand der Journalist Kammerer aufrichtig. »Ich bin etwas viel Schlimmeres. Ich bin Journalist.«
»Sie schreiben ein Buch über die Kopfler?«
»Ja, in gewissem Sinne. Und?«
»Nichts. Bitte sehr. Sie sind nicht der Erste und nicht der Letzte. Haben Sie die Kopfler jemals zu Gesicht bekommen?«
»Ja, natürlich.«
»Auf dem Bildschirm?«
»Nein. Es ist nämlich so, dass ich seinerzeit die Kopfler auf dem Saraksch entdeckt habe.«
Alexander B. erhob sich. »Dann sind Sie Kammerer?«
»Zu Diensten.«
»Nicht doch, ich bin zu Ihren Diensten, Doktor! Befehlen Sie, fordern Sie, ordnen Sie an.«
Augenblicklich fiel mir das Gespräch mit Abalkin wieder ein, und ich beeilte mich klarzustellen: »Ich habe sie bloß entdeckt, weiter nichts. Ich bin kein Fachmann auf diesem Gebiet. Und im Moment interessieren mich nicht die Kopfler als solche, sondern nur ein einziger - der Missionsdolmetscher. Wenn Sie also nichts dagegen haben … Gehe ich jetzt zu ihnen?«
»Aber Doktor, ich bitte Sie!« Alexander B. schien verwundert. »Glauben Sie etwa, wir sitzen hier auf Wache? Nichts dergleichen! Bitte, gehen Sie nur! Das machen überhaupt viele. Man erklärt ihnen, dass die Gerüchte übertrieben sind, sie nicken, verabschieden sich, und kaum sind sie draußen - husch über die Brücke.«
»Und?«
»Nach einer Weile kommen sie wieder. Sehr enttäuscht. Gesehen haben sie nichts und niemand. Wald, Hügel, Bodenspalten, eine bezaubernde Landschaft - das ist freilich alles zu sehen, nur eben keine Kopfler. Erstens haben die Kopfler eine nächtliche Lebensweise, zweitens leben sie unterirdisch, und die Hauptsache - sie treffen sich nur mit Leuten, die sie tatsächlich treffen möchten. Und für diesen Fall haben wir hier Dienst - sozusagen als Verbindungsleute …«
»Was heißt ›wir‹?«, erkundigte sich der Journalist Kammerer. »Die KomKon?«
»Ja, Praktikanten. Wir haben abwechselnd Dienst. Über uns geht die Verbindung nach beiden Seiten. Welchen von den Dolmetschern wollen Sie?«
»Ich brauche Wepl-Itrtsch.«
»Versuchen wir es. Kennt er Sie?«
»Wohl kaum. Aber sagen Sie ihm, dass ich mit ihm über Lew Abalkin sprechen möchte, den kennt er gewiss.«
»Das möchte ich meinen!«, sagte Alexander B. und zog den Selektor zu sich heran.
Der Journalist Kammerer (und, zugegeben, auch ich selbst) beobachtete mit einem Entzücken, das in andächtiges Staunen überging, wie dieser junge Mann mit dem Gesicht eines romantischen Dichters plötzlich wild die Augen verdrehte und die eleganten Lippen zu einer unglaublichen Röhre formte. Dann begann er zu schnalzen, zu krächzen und zu glucksen wie dreiunddreißig Kopfler auf einmal (in einem nächtlichen toten Wald, an einer aufgerissenen Betonstraße, unter dem trübe phosphoreszierenden Himmel des Saraksch). Und diese Töne schienen sehr gut in den gewölbten, kasemattenleeren Raum mit den rauen, nackten Wänden zu passen. Dann verstummte der junge Mann, neigte den Kopf und lauschte Serien von Antwortschnalzern und -glucksern; dabei bewegten sich seine Lippen mitsamt dem Unterkiefer weiter, als hielte er sich bereit, das Gespräch fortzusetzen. Da dies kein sonderlich schöner Anblick war, wandte der Journalist Kammerer - trotz seines andächtigen Staunens - diskret seinen Blick ab.
Das Gespräch dauerte nicht allzu lange. Alexander B. lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, massierte sich mit den schlanken blassen Fingern zart den Unterkiefer und erklärte ein wenig außer Atem: »Er scheint einverstanden zu sein. Ich will Ihnen freilich nicht zu viel Hoffnung machen. Ich bin nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe. Zwei Sinnebenen habe ich erfasst, aber ich glaube, da war noch eine dritte. Kurzum, gehen Sie über die Brücke, dort finden Sie einen Pfad. Der Pfad führt in den Wald. Da wird er Sie treffen. Genauer, er wird Sie sich ansehen … Nein. Wie soll ich es sagen … Wissen Sie, es ist nicht so schwer, einen Kopfler zu verstehen. Schwerer ist es, ihn zu übersetzen. Zum Beispiel dieser Reklamespruch: ›Wir sind für das Wissen, aber nicht für die Neugier.‹ - übrigens eine sehr gelungene Übersetzung. ›Wir sind nicht für die Neugier‹ kann heißen ›wir sind nicht ohne Zweck neugierig‹, aber auch: ›Wir sind für euch nicht von
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