Gesammelte Werke 1
Interesse.‹ Verstehen Sie?«
»Ich verstehe«, sagte der Journalist Kammerer und stand auf. »Er wird mich eine Weile ansehen und dann entscheiden, ob ich ein Gespräch wert bin. Vielen Dank für die Mühe.«
»Was denn für Mühe? Es ist mir eine angenehme Pflicht. Warten Sie, nehmen Sie meinen Umhang, draußen regnet es.«
»Danke, nicht nötig«, sagte der Journalist Kammerer und trat in den Regen hinaus.
3. JUNI’78
Der Kopfler Wepl-Itrtsch
Nach Ortszeit war es drei Uhr morgens; der Himmel war verhangen, der Wald undurchdringlich, und die nächtliche Welt schien mir grau, flach und trübe wie eine schlechte alte Fotografie.
Natürlich hatte er mich als Erster entdeckt und mich schon fünf, vielleicht sogar zehn Minuten lang in einiger Entfernung begleitet, verborgen im dichten Unterholz. Als ich ihn endlich bemerkte, erkannte er das augenblicklich und erschien sofort vor mir auf dem Pfad.
»Hier bin ich«, erklärte er.
»Ich sehe«, sagte ich.
»Wir werden hier sprechen.«
»Gut.«
Er setzte sich sofort hin, ganz wie ein Hund, der mit dem Herrchen spricht - ein großer, dicker Hund mit riesiger Stirn und großem Kopf sowie kleinen dreieckigen und aufgerichteten Ohren. Seine Augen waren groß und rund, die Stimme klang etwas heiser. Aber Wepl sprach ohne den geringsten Akzent; nur die kurzen, abgehackten Wendungen und eine etwas zu exakte Artikulation verrieten den Fremden. Und er
roch sonderbar. Nicht nach nassem Hundefell, wie man hätte erwarten können; es war ein eher anorganischer Geruch - ähnlich wie erhitztes Kolophonium. Ein sonderbarer Geruch, der eher zu einem Apparat als zu einem Lebewesen passte. Auf dem Saraksch hatten die Kopfler, wenn ich mich recht erinnerte, nicht so gerochen.
»Was willst du?«, fragte er geradeheraus.
»Hat man dir gesagt, wer ich bin?«
»Ja. Du bist Journalist. Du schreibst ein Buch über mein Volk.«
»Das stimmt nicht ganz. Ich schreibe ein Buch über Lew Abalkin. Du kennst ihn.«
»Mein ganzes Volk kennt Lew Abalkin.«
Das war neu.
»Und was denkt dein Volk über Lew Abalkin?«
»Mein Volk denkt nichts über Lew Abalkin. Es kennt ihn.«
Mir schien, hier begannen bereits die linguistischen Sümpfe …
»Ich wollte fragen: Wie steht dein Volk zu Lew Abalkin?«
»Es kennt ihn. Jeder Einzelne kennt ihn. Von der Geburt bis zum Tod.«
Ich beriet mich mit dem Journalisten Kammerer, und wir beschlossen, dieses Thema vorerst zu lassen. Wir fragten: »Was kannst du über Lew Abalkin erzählen?«
»Nichts«, gab er kurz zur Antwort.
Gerade das hatte ich am meisten befürchtet. Und zwar in so hohem Maße, dass ich eine solche Situation unbewusst einfach ausgeschlossen hatte und jetzt nicht darauf vorbereitet war. Ich geriet jämmerlich aus dem Konzept, war völlig ratlos; er aber hob einen Vorderfuß bis zur Schnauze und machte sich daran, geräuschvoll zwischen den Krallen zu knabbern. Nicht wie Hunde, sondern wie es mitunter Katzen tun.
Indes, ich hatte genügend Selbstbeherrschung. Mir wurde rechtzeitig klar, dass dieser Köter-Sapiens, hätte er wirklich
nichts mit mir zu tun haben wollen, einer Begegnung einfach ausgewichen wäre.
»Ich weiß, dass Lew Abalkin dein Freund ist«, sagte ich. »Ihr habt zusammen gelebt und gearbeitet. Sehr viele Menschen der Erde würden gern wissen, was der Kopfler Wepl, sein Freund und Mitarbeiter, über Lew Abalkin denkt.«
»Wozu?« Auch seine Frage war kurz.
»Eine Erfahrung«, antwortete ich.
»Eine nutzlose Erfahrung.«
»Es gibt keine nutzlosen Erfahrungen.«
Jetzt machte er sich an die andere Pfote, und nach ein paar Sekunden knurrte er undeutlich: »Stell konkrete Fragen.«
Ich überlegte.
»Ich weiß, dass du vor fünfzehn Jahren zum letzten Mal mit Abalkin zusammengearbeitet hast. Hast du danach noch mit anderen Erdenmenschen zusammenarbeiten müssen?«
»Ja. Oft.«
»Hast du einen Unterschied gespürt?«
Ich hatte mir, als ich diese Frage stellte, eigentlich nichts Besonderes dabei gedacht. Doch Wepl erstarrte plötzlich, ließ dann langsam die Pfote sinken und hob den Kopf mit der hohen Stirn. Für einen kurzen Augenblick flammte in seinen Augen ein düsterer roter Schein auf. Aber dann machte er sich sofort wieder an das Benagen seiner Krallen.
»Schwer zu sagen«, knurrte er. »Die Arbeiten sind unterschiedlich, die Menschen auch. Schwierig.«
Er wich aus. Wovor? Meine unschuldige Frage hatte nun ihn ins Stolpern gebracht. Eine Sekunde lang hatte er die Fassung verloren. Oder lag es
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