Gesammelte Werke 1
treffen; es sollten weitere Mitglieder des Weltrates teilnehmen - Fachleute für Sozialpsychologie, Pädagogik und Massenmedien.
Die ganze Sitzung hindurch hatte Rudolf Sikorsky geschwiegen. Er fühlte sich nicht hinreichend kompetent, um
sich für die eine oder andere Lösung des Problems auszusprechen. Doch seine langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Experimentalgeschichte, wie auch alle ihm über die Tätigkeit der Wanderer bekannten Tatsachen, führten ihn zu dem Schluss: Welche Entscheidung der Weltrat letzten Endes auch fällte - diese Entscheidung wie überhaupt alle Umstände der Angelegenheit mussten auf unbestimmte Zeit in einem Kreis von Personen gehalten werden, die das höchste Niveau sozialer Verantwortlichkeit erkennen ließen. In diesem Sinne äußerte er sich kurz vor Ende der Sitzung. »Die Entscheidung, alles so zu lassen, wie es ist, und sich auf passive Beobachtung zu beschränken, ist in Wahrheit keine Entscheidung. An wirklichen Entscheidungen gibt es nur zwei: vernichten oder die Entwicklung in Gang setzen. Es ist unwichtig, wann eine von diesen Entscheidungen getroffen wird - heute oder in hundert Jahren, doch wird jede unbefriedigend sein. Den Sarkophag zu vernichten heißt, etwas Unumkehrbares zu tun. Wir alle hier wissen, welchen Preis eine unumkehrbare Tat hat. Die Entwicklung in Gang zu setzen aber heißt, den Weg einzuschlagen, den uns die Wanderer vorgeben - und deren Absichten sind uns, gelinde gesagt, völlig unklar. Ich will keine Entscheidung vorwegnehmen und glaube auch nicht das Recht zu haben, für welche Entscheidung auch immer zu stimmen. Das Einzige, worum ich bitte und worauf ich bestehe, ist: Erlauben Sie mir, unverzüglich Maßnahmen gegen ein Durchsickern der Informationen zu ergreifen. Und sei es, um zu vermeiden, dass eine Flut von Inkompetenz auf uns zurollt …«
Diese kleine Rede machte einigen Eindruck, und Sikorsky erhielt von allen die Erlaubnis, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen - zumal allen klar war: Eile konnte erstens nur schaden, und zweitens mussten unbedingt Voraussetzungen für eine gründliche Arbeit geschaffen werden.
Am 31. Dezember fand die erweiterte Beratung statt. Anwesend waren achtzehn Personen, darunter der von Gorbowski
eingeladene Vorsitzende des Weltrates für soziale Fragen. Alle waren sich einig, dass der Sarkophag nur durch Zufall gefunden worden war. Das aber bedeutete auch: vor der Zeit. Zudem musste man, bevor eine Entscheidung gefällt wurde, versuchen, die ursprüngliche Absicht der Wanderer zu verstehen, und wenn nicht verstehen - so doch zumindest eine Vorstellung davon gewinnen. Diesbezüglich wurden nun einige mehr oder weniger exotische Hypothesen vorgestellt.
Kyrill Alexandrow, für seine anthropomorphistischen Anschauungen bekannt, äußerte die Vermutung, der Sarkophag sei ein Aufbewahrungsort für den genetischen Fonds der Wanderer . Alle ihm bekannten Beweise für die nichthumanoide Natur der Wanderer , erklärte er, seien im Grunde indirekt. In Wirklichkeit könnten sich die Wanderer durchaus als genetische Doppelgänger des Menschen erweisen. Eine solche Annahme widerspräche auch keineswegs den zugänglichen Fakten. Davon ausgehend schlug Alexandrow vor, alle Untersuchungen abzubrechen, den Fund wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen und das System von EN 9173 zu verlassen.
Nach Ansicht von August Johann Bader war der Sarkophag ebenfalls ein Aufbewahrungsort für einen genetischen Fonds, aber nicht der Wanderer , sondern der Erdenmenschen. Vor fünfundvierzigtausend Jahren hätten die Wanderer eine Degeneration der damals wenigen Stämme des Homo sapiens theoretisch für möglich gehalten und versucht, auf diese Weise Maßnahmen zu ergreifen, um die irdische Menschheit in der Zukunft wiederherstellen zu können.
Unter derselben Parole »Wir wollen nicht schlecht von den Wanderern denken« trat auch der greise Pak Hin auf. Wie Bader war er überzeugt, dass man es mit einem irdischen Genfonds zu tun hätte, nahm jedoch an, er sei von den Wanderern eher zu Bildungszwecken angelegt worden. Der Sarkophag sei eine Art »Zeitkapsel«, deren Öffnung es der
gegenwärtigen Menschheit ermögliche, sich mit den Besonderheiten ihrer entfernten Vorfahren vertraut zu machen - etwa, was ihre Gestalt, Anatomie und Physiologie anging.
Gennadi Komow stellte die Frage umfassender. Seiner Meinung nach werde jede Zivilisation, die ein bestimmtes Entwicklungsniveau erreicht habe, Kontakt mit einer anderen
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