Gesammelte Werke 1
nicht darum … Denken Sie etwa, ich könnte es verwechseln … Was für ein Unsinn …« Und schließlich zog er den Zünder aus der Fassung und hob ihn vorsichtig immer höher über das Futteral. Man sah, wie die dicke, graue, runde Scheibe weißliche Fäden hinter sich herzog, die immer dünner wurden, bis sie einer nach dem anderen durchrissen. Als der letzte Faden gerissen war, drehte Bromberg die Scheibe mit der Unterseite zuoberst, und ich entdeckte zwischen den vibrierenden halbdurchsichtigen Härchen dieselbe Hieroglyphe, nur schwarz, klein und sehr deutlich, als wäre sie in das graue Material eingeprägt.
»Ja!«, rief Bromberg triumphierend. »Genau das Gleiche! Ich wusste doch, dass ich mich nicht geirrt haben kann.«
»Worin genau?«
»Die Größe!«, sagte Bromberg. »Größe, Einzelheiten, Proportionen. Verstehen Sie, sein Leberfleck ähnelt diesem Zeichen nicht einfach nur - er ist mit ihm vollkommen identisch
…« Er blickte Seine Exzellenz durchdringend an. »Hören Sie, Rudolf, eine Hand wäscht die andere. Wie ist das - haben Sie sie damit gezeichnet?«
»Natürlich nicht.«
»Also hatten sie es von Anfang an?«, fragte Bromberg und klopfte sich mit dem Finger auf die rechte Armbeuge.
»Nein. Die Zeichen sind an ihnen erschienen, als sie zehn, zwölf Jahre alt waren.«
Bromberg legte den Zünder vorsichtig zurück in die Fassung und ließ sich befriedigt in den Sessel sinken. »Nun ja«, erklärte er. »So hatte ich das alles auch verstanden … Alsdann, Herr Polizeipräsident: Was ist jetzt Ihre ganze Geheimhaltung wert? Seine Nummer habe ich, und sobald der goldfingrige Phöbus den Tag anbrechen lässt und die Dächer eurer architektonischen Ungeheuer erhellt, setze ich mich mit ihm in Verbindung, und wir werden uns nach Herzenslust unterhalten … Und versuchen Sie nicht, es mir auszureden, Sikorsky!«, schrie er und fuchtelte Seiner Exzellenz mit dem Finger vor der Nase herum. »Er ist von selbst zu mir gekommen, und ich habe selbst - verstehen Sie? - selbst mit meinem alten Kopf herausgefunden, wer vor mir steht, und jetzt gehört er mir! Ich bin nicht in Ihre lausigen Geheimnisse eingedrungen! Nur ein bisschen Glück, ein bisschen Findigkeit …«
»Gut, gut«, sagte Seine Exzellenz. »In Gottes Namen. Keine Einwände. Er gehört Ihnen, treffen Sie sich mit ihm, unterhalten Sie sich. Aber nur mit ihm, bitte. Mit keinem anderen.«
»Naa-a …«, äußerte Bromberg mit ironischem Zweifeln.
»Überhaupt, tun Sie, was Ihnen beliebt«, sagte Seine Exzellenz plötzlich. »Das ist jetzt alles unwichtig. Aber sagen Sie, Isaac, worüber haben Sie mit ihm gesprochen?«
Bromberg faltete die Hände über dem Bauch und drehte Däumchen. Der Sieg, den er gerade über Seine Exzellenz errungen
hatte, war so groß und so offensichtlich, dass er sich nun zweifellos etwas Großzügigkeit leisten konnte.
»Ich muss gestehen, das Gespräch war ziemlich verworren«, sagte er. »Inzwischen wurde mir natürlich klar, dass mich dieser Cro-Magnonide einfach an der Nase herumgeführt hat …«
Heute oder, genauer gesagt, gestern früh war ein junger Mann von vierzig, fünfundvierzig Jahren bei ihm erschienen und hatte sich als Alexander Dymok vorgestellt, Konfigurator für Landwirtschaftsautomaten. Mittelgroß, sehr blasses Gesicht, lange, schwarze Haare wie ein Indianer. Er klagte, dass er nun schon seit Monaten vergeblich herauszufinden versuche, unter welchen Umständen seine Eltern verschwunden seien. Er erzählte Bromberg eine rätselhafte, und in ihrer Rätselhaftigkeit sehr verführerische Legende, die er angeblich selbst Schritt für Schritt zusammengetragen hatte, und sparte nicht einmal die unglaubwürdigen Gerüchte aus. Bromberg hatte diese Legende in allen Einzelheiten notiert; sie jetzt wiederzugeben, schien ihm allerdings überflüssig. Eigentlich hatte Alexander Dymok bei seinem Besuch nur ein Ziel verfolgt: ob nicht Bromberg, der Welt bedeutendster Kenner verbotener Wissenschaft, wenigstens ein bisschen Licht in diese Geschichte bringen könnte.
Der Welt bedeutendster Kenner Bromberg zog seine Karthotek zurate, fand aber nichts über das Ehepaar Dymok. Der junge Mann war darüber sichtlich betrübt und schon im Begriff zu gehen, als Bromberg einen glücklichen Einfall hatte: Es wäre möglich, sagte er, dass die Eltern gar nicht Dymok geheißen hätten. Es wäre auch möglich, dass seine ganze Legende gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun hätte. Er, Dr. Bromberg, werde versuchen sich
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