Gesammelte Werke 1
damals führte sich Rudolf Sikorsky ebenso klar wie hoffnungslos vor Augen, dass niemand - und am wenigsten er selbst - das Recht hatte, sich damit zu beruhigen, dass diese Möglichkeit überaus unwahrscheinlich und phantastisch wäre.
Als die Beratung in vollem Gange war, erhielt Gennadi Komow einen weiteren chiffrierten Funkspruch von Fokin. Er las ihn durch - und erbleichte. Dann verkündete er mit brüchiger Stimme: »Es sieht nicht gut aus - Fokin und van Bleerkom teilen mit, dass bei allen dreizehn Eizellen die erste Teilung erfolgt ist.«
Das war ein böses Neujahr für alle, die in die Sache eingeweiht waren. Vom frühen Morgen des 1. bis zum Abend des 3. Januar des neuen Jahres’38 dauerte die praktisch ununterbrochene Sitzung der spontan gebildeten »Kommission für den Brutkasten«. Der Sarkophag wurde jetzt Brutkasten genannt,
und zur Debatte stand im Grunde nur eine Frage: wie unter Berücksichtigung aller Umstände das Schicksal der dreizehn neuen Erdenbürger gestaltet werden könnte.
Die Frage nach der Vernichtung des Brutkastens wurde nicht mehr gestellt, obwohl allen Mitgliedern der Kommission - auch jenen, die sich ursprünglich für die Aktivierung der Eizellen ausgesprochen hatten - dabei nicht wohl in ihrer Haut war. Es war ein unbestimmtes, ungutes Gefühl - eine Unruhe, die sie nicht losließ. Es schien, als hätten sie am 31. Dezember in gewissem Sinne ihre Selbstständigkeit eingebüßt und seien nun genötigt, einem von außen aufgezwungenen Plan zu folgen. Nichtsdestoweniger trug die Erörterung einen sehr konstruktiven Charakter.
Schon in diesen drei Tagen formulierte man in groben Zügen die Leitlinien für die Erziehung der künftigen Neugeborenen. Man bestimmte ihre Ammen, beobachtenden Ärzte, Lehrer und möglichen Ausbilder und legte fest, in welche Richtung sich die anthropologischen, physiologischen und psychologischen Forschungen zu bewegen hätten. Spezialisten für Xenotechnologie im Allgemeinen sowie für die Xenotechnik der Wanderer im Besonderen wurden bestimmt und umgehend zur Gruppe Fokins geschickt, um den Sarkophag-Brutkasten auf das Sorgfältigste zu untersuchen und Missgeschicken vorzubeugen. Vor allem aber entsandte man sie in der Hoffnung, es möchte gelingen, Details dieses Apparates zu entdecken, die dazu beitrügen, die bevorstehende Arbeit mit den »Findelkindern« präzisieren und konkretisieren zu können. Es wurden sogar unterschiedliche Varianten zur Steuerung der öffentlichen Meinung erarbeitet - je nachdem, welche der Hypothesen über die Ziele der Wanderer sich bewahrheitete.
Rudolf Sikorsky beteiligte sich nicht an der Diskussion. Er hörte nur mit halbem Ohr zu und konzentrierte sich allein darauf, jede Person zu erfassen, die mit der Entwicklung dieser
Ereignisse in irgendeiner Weise zu tun haben würde. Die Liste wuchs in deprimierendem Tempo, doch dagegen konnte er vorerst nichts unternehmen. In diese seltsame, ja gefährliche Geschichte würden so oder so viele Leute verwickelt sein.
Auf der Schlussbesprechung am Abend des 3. Januar, wo Bilanz gezogen wurde und sich die spontan gebildeten Kommissionen organisatorisch formierten, bat Sikorsky ums Wort und erklärte etwa Folgendes: Wir haben in den letzten Tagen gute Arbeit geleistet und uns mehr oder weniger auf die mögliche Entwicklung der Ereignisse eingestellt - soweit das überhaupt möglich ist bei unserem jetzigen Informationsstand und der jämmerlichen Lage, in der wir uns nicht nach unserem, sondern nach dem Willen der Wanderer befinden. Wir haben vereinbart, nichts zu unternehmen, was unumkehrbar wäre; das ist im Grunde das Wesentliche all unserer Beschlüsse. Aber! Als Leiter der KomKon 2, einer Organisation, die verantwortlich ist für die Sicherheit der irdischen Zivilisation als Ganzes, lege ich Ihnen jetzt eine Reihe von Forderungen vor, die es bei unserer Tätigkeit fortan strikt zu erfüllen gilt.
Erstens. Alle Arbeiten, die in irgendeiner Weise mit dieser Geschichte in Zusammenhang stehen, sind geheim zu halten. Angaben darüber dürfen unter keinen Umständen veröffentlicht werden. Begründung: das jedem bekannte Gesetz zum Persönlichkeitsgeheimnis.
Zweitens. Keines der »Findelkinder« darf in die Umstände eingeweiht werden, unter denen es auf die Welt gekommen ist. Begründung: dasselbe Gesetz.
Drittens. Sobald sie zur Welt gekommen sind, müssen die »Findelkinder« getrennt werden. In der Folge sind Vorkehrungen zu treffen, damit sie nicht nur nichts voneinander
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