Gesammelte Werke 1
schön. Weißt du was«, sagte er, »schenk ihn mir. Und ich schenke ihn Assja. Ich möchte ihr eine Freude machen, wenn auch nur mit einer Kleinigkeit.«
»Dann mache ich dir, wenigstens mit einer Kleinigkeit, eine Freude«, sagte Grischa.
»Ja, und du machst mir, wenigstens mit einer Kleinigkeit, eine Freude.«
»Da, nimm«, meinte Grischa. »Behalt ihn. Verschenk ihn. Präsentier ihn. Schwindel irgendwas vor, du hättest ihn extra für deine Liebste entworfen, nächtelang daran gearbeitet.«
»Danke«, erwiderte Toivo und steckte den Stift in die Tasche.
»Aber vergiss nicht!«, Grischa hob den Finger, »hier um die Ecke, in der Rotahornstraße, steht ein Automat, der zur Werkstatt eines gewissen F. Moran gehört. Und dieser Automat fabriziert genau solche Stifte, und zwar auf Knopfdruck.«
Toivo nahm den Stift wieder heraus und begann ihn zu mustern. »Ist egal«, sagte er traurig. »Du hast den Automaten in der Rotahornstraße zwar bemerkt, aber mir wäre er nie aufgefallen.«
»Dafür hast du die Unordnung in der Welt der Wale bemerkt!«
»Der Wale«, schrieb Toivo auf den Zettel. »Ach ja, apropos«, sagte er langsam. »Du bist jemand, der frisch und unvoreingenommen ist - was meinst du? Was muss passiert sein, damit eine Herde Wale, zahm, mit Liebe gehegt und gepflegt, sich plötzlich ins flache Küstenwasser wirft, um zu sterben? So, wie Jahrhunderte zuvor, in der bösen alten Zeit. Sie sterben schweigend, ohne auch nur um Hilfe zu rufen, zusammen mit ihren Jungen. Kannst du dir irgendeinen Grund für diese Selbstmorde vorstellen?«
»Und warum haben sie sich früher auf den Strand geworfen?«
»Warum sie es früher getan haben, ist auch unbekannt. Aber damals hatte man zumindest Vermutungen: Die Wale litten unter Parasiten, wurden von Schwertwalen oder Kalmaren angegriffen, auch von Menschen. Man vermutete sogar,
sie brächten sich aus Protest um, beziehungsweise um ein Zeichen des Protests zu setzen. Aber heute!«
»Und was sagen die Fachleute?«
»Die Fachleute haben eine Anfrage an die KomKon 2 geschickt: Stellt die Ursache für die neuerlichen Selbstmorde der Walartigen fest.«
»Hm … verstehe. Und was sagen die Walhirten?«
»Mit denen hat alles angefangen. Sie behaupten, dass es der blanke Horror ist, der die Wale in den Tod treibt. Und die Hirten können nicht verstehen, sich nicht vorstellen, wovor sich die heutigen Wale fürchten könnten.«
»Tja«, meinte Grischa. »Es sieht so aus, als kämen wir hier ohne die Wanderer tatsächlich nicht weiter.«
»Nicht weiter«, schrieb Toivo auf, zog einen Rahmen um die Worte, dann noch einen und begann, den Raum zwischen den Linien auszumalen.
»Obwohl«, fuhr Grischa fort, »alles das gab es schon einmal, wieder und wieder gab es das. Erst verlieren wir uns in Mutmaßungen, schieben alles auf die Wanderer , zermartern uns die Gehirne, und dann schauen wir hin - hoppla, und wer zeigt sich da am Ereignishorizont? Wer ist da so elegant, mit dem selbstgefälligen Lächeln des Herrgotts am Abend des sechsten Schöpfungstages? Wessen wohlbekannter schneeweißer Spitzbart ist das? Mister Fleming, Sir! Wie kommen Sie hierher, Sir? Wollen Sie die Güte haben, vor die Schranken zu treten? Im Weltrat, vors Außerordentliche Tribunal!«
»Gib zu, das wäre nicht die schlimmste Variante«, bemerkte Toivo.
»Sicher, sicher! Obwohl ich manchmal den Eindruck habe, dass ich lieber mit einem Dutzend Wanderern zu tun hätte, als mit einem Fleming. Aber das mag daran liegen, dass die Wanderer nahezu hypothetische Wesen sind, während Fleming mit seinem Spitzbart ein ziemlich reales Ungeheuer ist.
Deprimierend real mit seinem schneeweißen Spitzbart, seinem Nishnaja Pescha, seinen Banditen der Wissenschaft und seinem hundertmal verfluchten Weltruhm!«
»Ich sehe, sein Spitzbart macht dir besonders zu schaffen?«
»Sein Spitzbart macht mir eben gerade nicht zu schaffen«, entgegnete Grischa spitz. »Genau an seinem Spitzbart kriegen wir ihn nämlich zu packen. Woran aber packen wir die Wanderer , wenn sich herausstellen sollte, dass doch sie dahinterstecken?«
Toivo schob den Stift akkurat in seine Tasche, stand auf und trat ans Fenster. Aus den Augenwinkeln heraus konnte er sehen, dass Grischa ihn aufmerksam beobachtete, dass er das übergeschlagene Bein auf den Boden gestellt und sich sogar ein wenig vorgebeugt hatte. Es war still, nur das Terminal piepte leise im Takt der einander abwechselnden Zwischentabellen auf dem Bildschirm.
»Oder hoffst du,
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