Gesammelte Werke 1
Gaswerfern, Selbstfahrkanonen und Raketen auf Kettenfahrzeugen. Das alles war in mehr als zwanzig Jahren nicht etwa abgestorben, sondern lebte sein unnützes, mechanisches Leben weiter: zielte noch immer, richtete sein Geschütz nach wie vor, spie Blei, Feuer und Tod und musste zerstört und gesprengt werden, um die Trasse frei zu bekommen für den Bau neuer Emittertürme. Und nachts fuhr Wildschwein fort zu schweigen, und Sef bedrängte Maxim wieder und wieder mit seinen Fragen, bisweilen direkt und geradezu dumm, ein andermal erstaunlich geschickt und spitzfindig. Und dann waren da noch das
schlechte Essen und die merkwürdigen Lieder der Zwangsarbeiter; die Gardisten schlugen einem ins Gesicht, und zweimal täglich, während der Strahlenschübe, krümmten sich die Zöglinge im Wald und in den Baracken vor Schmerzen, und im Wind schaukelten erhängte Flüchtlinge.
Tag - Nacht, Tag - Nacht …
»Weshalb wollten Sie ihn anhalten?«, fragte Wildschwein plötzlich.
Maxim setzte sich auf. Es war die erste Frage, die der Einarmige an ihn richtete.
»Um zu sehen, wie er funktioniert.«
»Wollen Sie fliehen?«
Maxim heftete seinen Blick auf Sef. »Nein, nicht deshalb. Aber immerhin ist es ein Panzer, ein Kampffahrzeug.«
»Und wozu brauchen Sie ihn?« Wildschwein redete, als gäbe es den rothaarigen Spitzel nicht.
»Keine Ahnung!«, stieß Maxim hervor. »Darüber müsste ich noch nachdenken. Sind hier viele von dieser Sorte?«
»Ja«, mischte sich der rothaarige Störenfried ins Gespräch. »Panzer gibt’s genug, und an Dummköpfen hat’s auch nie gefehlt.« Er gähnte. »Wie oft das schon versucht wurde! Kriechen hinein, fummeln und fummeln, und dann geben sie auf. Einer dieser Idioten, so einer wie du, hat sich sogar in die Luft gejagt.«
»Ich würde mich nicht in die Luft jagen«, sagte Maxim kühl. »Dieses Fahrzeug ist unkompliziert.«
»Wozu brauchen Sie’s denn nun?«, fragte der Einarmige. Er lag auf dem Rücken und rauchte, die Zigarette eingeklemmt zwischen die künstlichen Finger. »Nehmen wir an, Sie setzen es in Gang. Was weiter?«
»Durchbruch über die Brücke.« Sef lachte auf.
»Warum nicht?«, entgegnete Maxim. Er wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Der Rothaarige war anscheinend
doch kein Spitzel. Massaraksch, was wollten sie denn plötzlich von ihm?
»Sie kommen nicht bis zur Brücke«, sagte Wildschwein. »Bis dahin hat man Sie dreiunddreißigmal erschossen. Schaffen Sie’s aber doch, ist die Brücke wahrscheinlich hochgezogen.«
»Dann durch den Fluss.«
»Der ist radioaktiv.« Sef spie aus. »Wäre er für Menschen zugänglich, bräuchte man keinen Panzer. An jeder x-beliebigen Stelle könnte man durchschwimmen, die Ufer sind nicht bewacht.« Er spuckte noch einmal aus. »Übrigens wären sie es dann. Also spiel nicht den wilden Mann, mein Junge. Bist für lange hier, pass dich an! Tust du es, wird was draus. Hörst du aber nicht auf die Älteren, kannst du noch heute das Weltlicht erblicken.«
»Fliehen ist leicht«, widersprach Maxim. »Fliehen könnte ich auf der Stelle.«
»Schau einer an!« Sef mimte Bewunderung.
»… und wenn Sie vorhaben, hier weiter Konspiration zu spielen …« Maxim wandte sich demonstrativ an Wildschwein, doch Sef unterbrach ihn erneut.
»Ich beabsichtige, die heutige Norm zu schaffen.« Er stand auf. »Andernfalls kriegen wir nichts zu fressen. Also los!«
Während er watschelnd zwischen den Bäumen verschwand, fragte Maxim den Einarmigen: »Ist das etwa ein Politischer?«
Wildschwein warf ihm einen hastigen Blick zu. »Wie kommen Sie denn darauf?«
Sie folgten Sef, bemüht, in seine Fußstapfen zu treten. Maxim ging als Letzter.
»Weswegen ist er eigentlich hier?«
»Er hat die Straße falsch überquert«, erwiderte Wildschwein, und wieder verlor Maxim die Lust zu reden.
Sie hatten noch keine hundert Schritte getan, als Sef »Halt!« kommandierte, und die Arbeit begann. »Hinlegen!«, schrie er wenig später. Sie warfen sich flach auf den Boden. Ein dicker
Baum brach, gedehnt knirschend, vor ihnen um. Aus seiner Mitte heraus schob sich ein langes, dünnes Geschützrohr, das hin und her schwenkte, als nähme es Maß; dann folgte ein Surren, ein Knall, und aus der schwarzen Mündung stieg träge ein gelbes Rauchwölkchen auf. »Vergammelt«, sagte Sef lakonisch, stand als Erster auf und klopfte seine Hose ab. Den Baum mit der Kanone sprengten sie. Es folgte ein Minenfeld, dann eine Hügelfalle mit einem Maschinengewehr, das
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