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Gesammelte Werke 1

Titel: Gesammelte Werke 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strugatzki Boris
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ihn zum Stehen bringen.«
    »Die Granate hätte quer in die Rakete einschlagen können, und dann wär’s aus gewesen mit uns«, antwortete Sef.
    »Ich habe auf die Kette gezielt.«
    »Ins Heck muss man zielen.« Sef tat einen Lungenzug. »Und überhaupt, dräng dich nicht vor, solange du neu bist. Es sei denn, ich bitte dich darum. Klar?«
    »Klar«, sagte Maxim.
    Sefs Finessen interessierten ihn nicht. Der ganze Sef interessierte ihn nicht. Ihn interessierte Wildschwein. Doch Wildschwein schwieg wie immer gleichgültig; die künstliche Hand hatte er auf dem abgewetzten Futteral des Minensuchgeräts abgelegt. Alles war wie immer. Und alles war anders, als Maxim es sich wünschte.
    Als die neu angekommenen Zöglinge vor einer Woche bei den Baracken antreten mussten, war Sef gleich auf Maxim zugesteuert und hatte ihn in seine Pioniergruppe 134 geholt. Maxim war froh darüber gewesen. Er hatte den feuerroten Bart und die stämmige Gestalt gleich wiedererkannt, und es tat ihm gut, dass man auch ihn in diesem stinkenden karierten Haufen, wo jeder auf jeden pfiff und sich keiner für den anderen interessierte, gefunden hatte. Zudem hatte Maxim
guten Grund zu der Annahme, dass Sef, der seinerzeit berühmte Psychiater Allu Sef, der intelligent, gebildet und ganz anders war als das halbkriminelle Gesindel im Gefängniswaggon, als politischer Gefangener hier war und Verbindungen zum Untergrund unterhielt. Und als Sef ihm in der Baracke einen Schlafplatz neben dem des einarmigen Wildschwein zuwies, betrachtete Maxim die Sache als besiegelt. Doch das erwies sich bald als Irrtum. Wildschwein wollte keine Gespräche. Nach Maxims eilig geflüstertem Bericht über das Ende der Gruppe, den gesprengten Turm und den Prozess gähnte er und murmelte: »Da gibt’s noch ganz andere Sachen«, und drehte Maxim den Rücken zu. Der fühlte sich betrogen. Und dann kroch auch noch Sef zu ihm auf die Pritsche. »Hab ich mich jetzt vollgefressen!«, stöhnte er zufrieden und versuchte ohne jede Einleitung, frech, primitiv und aufdringlich, von Maxim Namen und Anlaufstellen zu erfahren. Vielleicht war er irgendwann ein namhafter Wissenschaftler und ein gebildeter, intelligenter Mensch gewesen. Vielleicht, ja, bestimmt hatte er auch Verbindung zum Untergrund gehabt - nun aber erweckte er den Eindruck eines gewöhnlichen, herausgefutterten Spitzels, der sich aus Langeweile vor dem Schlafen einen dummen, naiven Neuankömmling vorknöpfte. Nur mit Mühe konnte Maxim sich seiner erwehren, und als Sef schließlich laut zu schnarchen begann, lag er noch lange wach und dachte darüber nach, wie oft ihn hier schon Menschen und Umstände in die Irre geführt hatten.
    Die Nerven gingen ihm durch. Er erinnerte sich an den Prozess, der offensichtlich schon vorbereitet worden war, bevor die Gruppe den Befehl erhielt, den Turm zu stürmen; und an die schriftlichen Denunziationen irgendeines Lumpen, der alles über die Gruppe wusste und womöglich eins ihrer Mitglieder war; und an den Film, der während des Angriffs vom Turm aus gedreht worden war, und an seine Scham, als er sich selbst auf dem Bildschirm erkannte, wie er mit der Maschinenpistole
auf die Scheinwerfer, beziehungsweise die Jupiterlampen feuerte, die dieses furchtbare Spektakel erhellten. In der fest verriegelten Baracke war es widerlich schwül, die Zöglinge redeten im Schlaf, man wurde von Ungeziefer geplagt, und in einem entlegenen Winkel spielten Privilegierte beim Schein einer selbst gezogenen Kerze Karten und schrien einander heiser an.
    Und am nächsten Tag wurde Maxim auch vom Wald verraten. Keinen Schritt konnte man tun, ohne auf Eisen zu stoßen: totes, durch und durch verrostetes Eisen. Verborgenes Eisen, das jederzeit bereit war zu morden; Eisen, das sich heimlich regte und auf einen zielte - oder Eisen, das blind und ohne Verstand die Reste der Straßen aufriss. Erde und Gras rochen nach Rost, in den Bodensenken blinkten radioaktive Pfützen, die Vögel sangen nicht, sondern schrien heiser, als ahnten sie ihren Tod voraus. Andere Tiere fehlten gänzlich, und es fehlte auch die Waldesstille - ununterbrochen, bald rechts, bald links, krachten und dröhnten Detonationen. Im Geäst ballte sich graublauer Qualm, und der Wind trug das Heulen altersschwacher Motoren heran.
    Und so ging es Tag für Tag und Nacht für Nacht. Tags begaben sie sich in den Wald, der kein Wald war, sondern ein ehemals befestigtes Gebiet, vollgepfropft mit automatischem Kampfgerät, Panzerwagen, Flammen- und

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