Gesammelte Werke
Übelkeit, die mehr außen ist als innen. Sie hatte ihn, nachdem die erste Überraschung vorbei war, hie und da mit anderen betrogen: «Wenn man es so nennen will,» dachte sie «daß einem Geschöpf ohne Erfahrung, dessen Sinne schweigen, die Bemühungen eines Manns, der nicht der eigene ist, im ersten Augenblick wie Donnerschläge vorkommen, die an die Tür prallen!» Denn sie hatte wenig Begabung zur Untreue bewiesen: Liebhaber kamen ihr, sobald sie sie erst kennen gelernt hatte, nicht bezwingender vor als Gatten, und es dünkte sie bald, daß sie ebensogut die Tanzmasken eines Negerstamms ernstnehmen könnte wie die Liebeslarven, die der europäische Mann anlegt. Nicht, daß sie niemals darüber von Sinnen gekommen wäre: aber es ging schon bei den ersten Wiederholungsversuchen verloren! Die ausgeführte Vorstellungswelt und Theatralik der Liebe ließ sie unberauscht. Diese hauptsächlich vom Mann ausgebauten Regievorschriften der Seele, die alle darauf hinauslaufen, daß das harte Leben hie und da eine schwache Stunde haben soll, – mit irgendeiner Unterart des Schwachwerdens: dem Versinken, dem Ersterben, dem Genommenwerden, dem sich Geben, dem Erliegen, dem Verrücktwerden und so weiter – kamen ihr schmierenhaft übertrieben vor, da sie sich in keiner Stunde anders empfand als schwach, in einer von der Stärke der Männer so vortrefflich erbauten Welt.
Die Philosophie, die Agathe auf solche Weise erwarb, war einfach die des weiblichen Menschen, der sich nichts vormachen läßt und unwillkürlich beobachtet, was ihm der männliche Mensch vorzumachen trachtet. Ja, es war überhaupt keine Philosophie, sondern nur eine trotzig verhehlte Enttäuschung; immer noch mit der verhaltenen Bereitschaft zu einer unbekannten Auflösung vermengt, die vielleicht sogar in dem Maße zunahm, als sich die äußere Auflehnung verminderte. Da Agathe belesen war, aber vermöge ihrer Natur nicht geneigt, sich auf Theorien einzulassen, hatte sie oft Gelegenheit, wenn sie ihre eigenen Erlebnisse mit den idealen der Bücher und des Theaters verglich, sich darüber zu wundern, daß weder ihre Verführer sie gefesselt hatten wie die Falle ein Wild, was dem donjuanischen Selbstbildnis entsprochen hätte, dessen Haltung sich damals ein Mann zu geben pflegte, wenn er gemeinsam mit einer Frau ausrutschte, noch daß sich ihr Zusammenleben mit ihrem Gatten strindbergisch zu einem Kampf der Geschlechter gestaltete, worin die gefangene Frau, wie es die Nebenmode war, ihren herrisch-unbehilflichen Gebieter mit den Mitteln der List und Schwäche zu Tode peinigte. Ihr Verhältnis zu Hagauer war vielmehr, im Gegensatz zu ihren tieferen Gefühlen für ihn, immer ganz gut geblieben. Ulrich hatte am ersten Abend große Worte wie Schreck, Schock und Vergewaltigung dafür gebraucht, die ganz und gar nicht zutrafen. Sie bedauere, dachte Agathe noch bei der Erinnerung daran widerspenstig, nicht als ein Engel aufwarten zu können, es sei vielmehr alles in dieser Ehe sehr natürlich vor sich gegangen. Ihr Vater hatte des Mannes Bewerbung mit vernünftigen Gründen gestützt, sie selbst hatte beschlossen, sich wieder zu verheiraten: gut, man tut es; man muß mit sich geschehen lassen, was dazu gehört; es ist weder besonders schön, noch übermäßig unangenehm! Es tat ihr sogar jetzt noch leid, Hagauer bewußt zu kränken, wo sie das unbedingt tun wollte! Liebe hatte sie sich nicht gewünscht; sie hatte sich gedacht, es werde irgendwie gehn, er war ja ein guter Mensch.
Freilich war er wohl mehr einer jener Menschen, die immer gut handeln; in ihnen selbst ist keine Güte, dachte Agathe. Es scheint, daß die Güte in dem Maß, wie sie zu gutem Willen oder Taten wird, aus dem Menschen verschwindet! Wie hatte Ulrich gesagt? Ein Bach, der Fabriken treibt, verliert sein Gefälle. Auch, auch das hatte er gesagt, aber nicht war es das, was sie suchte. Jetzt hatte sie’s: «Es scheint, daß eigentlich nur Menschen, die nicht viel Gutes tun, imstande sind, sich ihre ganze Güte zu bewahren»! Aber in dem Augenblick, wo sie diesen Satz hatte, einleuchtend so, wie ihn Ulrich gesprochen haben mußte, kam er ihr durchaus unsinnig vor. Man konnte ihn nicht aus dem vergessenen Zusammenhang des Gesprächs allein herausnehmen. Sie versuchte die Worte anders zu stellen und tauschte sie gegen ähnliche um; aber da zeigte sich nun doch, daß der erste Satz der richtige war, denn die anderen waren wie in den Wind gesprochen und es blieb gar nichts von ihnen zurück. Also
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