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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Welt ein,» schwebte ihm vor «aber plötzlich schließt sie sich um ihn, und alles sieht anders aus. Keine Zusammenhänge mehr. Kein Weg, den er gekommen ist und weitergehen muß. Ein schimmerndes Umschlossensein an der Stelle, wo er noch soeben ein Ziel oder eigentlich die nüchterne Leere sah, die vor jedem Ziel liegt.» Ulrich hielt noch immer die Augen geschlossen. Langsam, als Schatten, kehrte das Gefühl wieder. Das geschah so, als kehrte es auf den Platz zurück, wo er damals und auch jetzt stand, dieses Gefühl, das mehr im Raum außen war als im Bewußtsein innen; eigentlich war es überhaupt weder ein Gefühl noch ein Gedanke, sondern ein unheimlicher Vorgang. Wenn man so überreizt und einsam war, wie er damals, konnte man wohl glauben, es kehre sich das Wesen der Welt von innen heraus um; und plötzlich wurde ihm klar – unbegreiflich war bloß, daß es erst jetzt geschah – und lag wie ein ruhiger offener Rückblick da, daß ihm schon damals sein Gefühl die Begegnung mit seiner Schwester angekündigt hatte, denn von dem Augenblick an war sein Geist von wunderlichen Kräften gelenkt worden bis –: doch da wandte sich Ulrich, ehe er «gestern» zu denken vermochte, hastig und so handgreiflich geweckt von seinen Erinnerungen ab, als wäre er an eine Kante gestoßen; da gab es etwas, woran er noch nicht denken wollte!
    Er trat an den Schreibtisch und musterte die dort liegende Post durch, ohne seine Reisekleidung abzulegen. Er war enttäuscht, als sich kein Telegramm seiner Schwester darunter befand, obgleich er keines zu erwarten hatte. Ein Berg von Beileidskundgebungen lag da vermengt mit wissenschaftlichen Mitteilungen und Buchhändleranzeigen. Zwei Briefe von Bonadea fanden sich vor, die sich so dick anfühlten, daß er sie gar nicht erst öffnete. Auch eine dringende Bitte des Grafen Leinsdorf, ihn zu besuchen, und zwei flötende Briefchen Diotimas waren dabei, die ihn ebenfalls einlud, daß er sich gleich nach seiner Rückkunft bei ihr zeige; aufmerksamer gelesen, enthielt das eine, das spätere, außeramtliche Nebentöne, die sehr freundschaftlich, wehmütig und fast ein wenig zärtlich waren. Ulrich wandte sich den telephonischen Anrufen zu, die während seiner Abwesenheit vermerkt worden waren: General von Stumm, Sektionschef Tuzzi, zweimal das Haussekretariat des Grafen Leinsdorf, mehrmals eine Dame, die ihren Namen nicht genannt hatte und wahrscheinlich Bonadea war, Bankdirektor Leo Fischel und sonst geschäftliche Mitteilungen. Während Ulrich das las und noch am Schreibtisch stand, klingelte der Apparat, und als Ulrich den Hörer aufnahm, meldete sich «Kriegsministerium, Bildungs- und Unterrichtsabteilung, Korporal Hirsch», sehr betroffen davon, unerwartet auf Ulrichs eigene Stimme zu prallen, und eifrig versichernd, daß der Herr General Befehl gegeben habe, jeden Morgen um zehn Uhr anzurufen, und sofort selbst am Telefon sein werde.
    Fünf Minuten später beteuerte Stumm, daß er noch am gleichen Vormittag «hervorragend wichtigen Konferenzen» beiwohnen und Ulrich unbedingt vorher sprechen müsse; auf die Frage, was es denn sei und warum es denn nicht am Fernsprecher erledigt werden könne, seufzte er in die Muschel und kündigte «Mitteilungen, Sorgen, Fragen» an, ohne daß aus ihm etwas Bestimmtes herauszubekommen war. Zwanzig Minuten später hielt aber ein Fiaker des Kriegsministeriurns vor dem Tor, und General Stumm betrat das Haus, von einer Ordonnanz gefolgt, die eine große lederne Aktentasche an der Schulter hängen hatte. Ulrich, der dieses Behältnis der geistigen Sorgen des Generals recht wohl noch von den Aufmarschplänen und Grundbuchblättern der großen Gedanken kannte, runzelte fragend die Stirn. Stumm von Bordwehr lächelte, schickte die Ordonnanz zum Wagen zurück, öffnete den Rock, um den kleinen Schlüssel des Sicherheitsschlosses hervorzuholen, den er an einem Kettchen um den Hals trug, sagte kein Wort und hob aus der Tasche, die sonst nichts enthielt, zwei Laibe Kommißbrot ans Licht.
    «Unser neues Brot,» erklärte er nach einer Kunstpause «ich habe es dir zum Kosten mitgebracht!»
    «Das ist aber nett von dir,» meinte Ulrich «daß du mir nach einer durchreisten Nacht Brot bringst, statt mich schlafen zu lassen.»
    «Wenn du Schnaps im Haus hast, was man wohl annehmen darf» setzte der General dagegen «so sind Brot und Schnaps das beste Frühstück nach einer durchgebrachten Nacht. Du hast mir einmal erzählt, daß unser Kommißbrot das einzige ist, was

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